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Namen hatte. Als mein Vater in den Krieg musste, war es unvermeidbar, dass meine Mutter dieses "Ehrenamt"<br />
übernahm. Das war eine Arbeit, die ihr regelmäßig ein Wochenende raubte. Es war unglaublich, die<br />
Sammelbeträge stiegen 1944 und <strong>1945</strong> sehr stark an! - Der Mann in der Zentrale hatte einen kugelrunden,<br />
feisten Glatzkopf und einen kugelrunden, massigen Körper. Er füllte seinen Schreibtischsessel voll aus; seine<br />
Beine steckten immer unter dem Schreibtisch. Er hieß Ebert, ich nannte ihn vor meiner Mutter nur das<br />
"Patenschwein". Was war das Patenschwein? In den Hausfluren der städtischen Häuser standen Futterkübel, in<br />
denen Gemüsereste gesammelt wurden. Darüber hing ein Plakat in Gestalt eines molligen Schweins, und darauf<br />
stand: Das Patenschwein frisst Kartoffelschalen, Krautreste, usw. Wer von dem Schwein, das von den Abfällen<br />
gefüttert wurde, etwas bekam, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass der Herr Ebert einmal bei einer Abrechnung<br />
sehr in Eile war, weil er zum Schlachtfest des Patenschweines musste. Das war für mich das Stichwort für seinen<br />
Namen gewesen. - Aber ich wollte über die letzte Abrechnung sprechen: Es war ungewöhnlich viel Geld<br />
zusammengekommen. Zur Abgabe begleitete ich meine Mutter in die Zentrale im Kötitzer Rathaus. Herr Ebert<br />
saß in seinem Sessel und nahm das Geld entgegen. Er quittierte ordnungsgemäß und sagte: "Ich muss gleich<br />
weg, ich will mit dem Fahrrad nach Nossen. Heute soll die Meißner Brücke gesprengt werden." <strong>Mein</strong>e Mutter:<br />
"Da bin ich ja froh, dass ich Sie noch erreicht habe, wem hätte ich denn das Geld abgeben sollen?" Er: "Da<br />
hätten Sie eben Geld gehabt. - Und nun bringen Sie die Akten in den Keller, da ist Herr Tauth schon dabei, alle<br />
Akten zu verbrennen":<br />
Verbrennen, das war jetzt für viele eine wichtige Arbeit. Es ging das Gerücht um, die Russen machen<br />
Haussuchungen, und wenn sie politische Literatur der Nationalsozialisten fänden, dann würden sie böse. Aber<br />
keiner ließ das so richtig an die Öffentlichkeit kommen. Alle hatten noch Angst, die überzeugten Nazis könnten<br />
Schwierigkeiten machen. Natürlich verbrannte ich auch meinen Pimpf-Ausweis - "er durfte den Russen nicht in<br />
die Hände fallen," und auch einige Kriegsbücher, z.B. die Abenteuer des Kapitänleutnants Prien und dazu einen<br />
Stoß Zeitungen. Andere hatten offenbar mehr, verbrannte Papierfetzen wirbelten aus so manchem Schornstein.<br />
Die Vorübergehenden registrierten das mit einem wissenden Lächeln.<br />
Die Luftalarme häuften sich. Das tiefe Brummen der angloamerikanischen Flugzeuge kannten wir gut. Wie<br />
silberne Punkte sahen wir sie am blauen Himmel; in geordneten Staffeln zogen sie über uns hinweg. Kaum<br />
erkennbare, graue Punkte umkreisten sie - der Jagdfliegerschutz. Die Überflüge nahmen wir nicht mehr ernst.<br />
Aber an diesem Tage war es anders: Die Alarmsirene und sofort laute, heulende Flugzeuggeräusche,<br />
ohrenbetäubendes Knattern von Bordkanonen. - Wir stürzten in den Keller. Immer wieder flogen die Tiefflieger an<br />
und schossen. Wie lange das dauerte, weiß ich nicht, sicher nur 10 Minuten, uns kam es vor wie Stunden. In der<br />
benachbarten Gärtnerei Martin waren der Gärtner mit den Arbeiterinnen und Fremdarbeiterinnen dabei, die<br />
Frühbeete zu bestellen. Als die Tiefflieger anflogen, hatten sie sich hinter die Beeteinfassungen geworfen.