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Ich war an der Elbfähre: Da trieb etwas unter dem Fährsteg hindurch. Neugierig ging ich hin - und schaute einem<br />
ertrunkenen Jungen meines Alters ins Gesicht. Er hatte die Pimpfenkleidung an, ohne die Abzeichen. (Das war<br />
normal; denn das war eine stabile Kleidung, die stabilste, die es im Kriege noch gab. Wir trugen sie auch noch<br />
nach Kriegsende, bis sie zerschlissen war – das Braunhemd schwarz gefärbt.) Das Fährboot legte an. Der<br />
Fährmann sah ihn: "Ach Gott - der kleine Kerl!" Das Fährboot legte ab. Der Fährmann hakte mit dem Staken in<br />
seine Kleidung - schleppte ihn in die Strömung - ließ ihn weitertreiben. Dann spülte er noch den Haken vom<br />
Staken durch einige kräftige Schläge ins Wasser ab. Ich fühlte mich, als ob ich einen Mord geduldet hätte.<br />
*<br />
<strong>Mein</strong>e Oma wohnte nun auch offiziell bei uns, d.h. sie war polizeilich und beim Einwohnermeldeamt in <strong>Coswig</strong><br />
angemeldet. Sie war still. Gliederte sich ein und machte sich überall nützlich, bereitete das Essen vor, besserte<br />
Kleidungsstücke aus, stopfte Strümpfe, jätete auch im Garten mal ein Beet aus. Ich habe sie nie untätig gesehen.<br />
Sie hielt auch mich zur Arbeit an; wies mich zurecht, wenn ich etwas machte, was ihr nicht gefiel. Das hatte ich<br />
aber gar nicht so gern. Ihren Schmerz und ihr Schicksal trug sie ohne Klage in Frömmigkeit und voller<br />
Gottvertrauen. In die Kirche ging sie nur zu ganz besonderen Anlässen, aber die Kirchenlieder, die sie während<br />
ihrer Schulzeit im Religionsunterricht gelernt hatte, kannte und konnte sie alle noch und zitierte zuweilen in die<br />
Situation passende Strophen. Sicher hat sie unter ihrer Situation gelitten.<br />
Ihr Leben war zwar arbeitsreich gewesen, aber vielseitig und interessant. Sie kam aus einer gut situierten<br />
Bürgerfamilie. - Als eine der Töchter des Gastwirtes Schubert, Inhaber des Gasthofes in Naundorf, hatte sie die<br />
Radebeuler Prominenz kennen gelernt, so z.B. den Baumeister Paul Große, der neben zahlreichen anderen<br />
Bauwerken den Radebeuler Bismarckturm errichtet hat. Ihr Vater muss ein geschickter Geschäftsmann gewesen<br />
sein. Als in <strong>Coswig</strong> die Fabriken errichtet wurden, baute er an den Bahnübergang der Naundorfer Straße eine<br />
Gaststätte. Ursprünglich sollte sie größer werden, aber die Eisenbahn gestattete den Bau nicht. Und so baute er<br />
sie nur als kleinen Flachbau und nannte sie "Kiste". Die Töchter machten den Ausschank. "Freitags habe wir<br />
das Geld mit dem Handwagen nach Hause gefahren" sagte einmal meine Oma. Ja, er muss wohlhabend<br />
gewesen sein, der Vater Schubert. Er spekulierte auch mit Häusern. Von dem Haus an der Bahnhofstraße in<br />
Radebeul West, in dem jetzt die Apotheke ist, war er der Bauherr. Seine Töchter hatte er branchengerecht<br />
ausbilden lassen. <strong>Mein</strong>e Oma z. B. hatte zwei Berufe mit Lehrabschluss: Weißnäherin und Köchin. Er hat seine<br />
Töchter auch gut verheiratet, alle im mittelständigen Bürgertum. Seine Schwiegersöhne: Erben von Gasthöfen,<br />
Beamte, Bankangestellte. Einer seiner Enkel war der Kunstmaler Theodor Rosenhauer, ein anderer der Arzt Dr.<br />
Weber, der in Kötitz seine Praxis hatte.<br />
<strong>Mein</strong>e Oma heiratete in die Kaiserbrauerei der Familie Viehhäuser ein. Die befand sich an der Leipziger Straße in<br />
Naundorf. Ihr Ehemann betrieb die Brauerei, sie führte als achtzehnjährige junge Frau die zugehörige Gaststätte