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Mein Jahr 1945 - Coswig

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Ich war an der Elbfähre: Da trieb etwas unter dem Fährsteg hindurch. Neugierig ging ich hin - und schaute einem<br />

ertrunkenen Jungen meines Alters ins Gesicht. Er hatte die Pimpfenkleidung an, ohne die Abzeichen. (Das war<br />

normal; denn das war eine stabile Kleidung, die stabilste, die es im Kriege noch gab. Wir trugen sie auch noch<br />

nach Kriegsende, bis sie zerschlissen war – das Braunhemd schwarz gefärbt.) Das Fährboot legte an. Der<br />

Fährmann sah ihn: "Ach Gott - der kleine Kerl!" Das Fährboot legte ab. Der Fährmann hakte mit dem Staken in<br />

seine Kleidung - schleppte ihn in die Strömung - ließ ihn weitertreiben. Dann spülte er noch den Haken vom<br />

Staken durch einige kräftige Schläge ins Wasser ab. Ich fühlte mich, als ob ich einen Mord geduldet hätte.<br />

*<br />

<strong>Mein</strong>e Oma wohnte nun auch offiziell bei uns, d.h. sie war polizeilich und beim Einwohnermeldeamt in <strong>Coswig</strong><br />

angemeldet. Sie war still. Gliederte sich ein und machte sich überall nützlich, bereitete das Essen vor, besserte<br />

Kleidungsstücke aus, stopfte Strümpfe, jätete auch im Garten mal ein Beet aus. Ich habe sie nie untätig gesehen.<br />

Sie hielt auch mich zur Arbeit an; wies mich zurecht, wenn ich etwas machte, was ihr nicht gefiel. Das hatte ich<br />

aber gar nicht so gern. Ihren Schmerz und ihr Schicksal trug sie ohne Klage in Frömmigkeit und voller<br />

Gottvertrauen. In die Kirche ging sie nur zu ganz besonderen Anlässen, aber die Kirchenlieder, die sie während<br />

ihrer Schulzeit im Religionsunterricht gelernt hatte, kannte und konnte sie alle noch und zitierte zuweilen in die<br />

Situation passende Strophen. Sicher hat sie unter ihrer Situation gelitten.<br />

Ihr Leben war zwar arbeitsreich gewesen, aber vielseitig und interessant. Sie kam aus einer gut situierten<br />

Bürgerfamilie. - Als eine der Töchter des Gastwirtes Schubert, Inhaber des Gasthofes in Naundorf, hatte sie die<br />

Radebeuler Prominenz kennen gelernt, so z.B. den Baumeister Paul Große, der neben zahlreichen anderen<br />

Bauwerken den Radebeuler Bismarckturm errichtet hat. Ihr Vater muss ein geschickter Geschäftsmann gewesen<br />

sein. Als in <strong>Coswig</strong> die Fabriken errichtet wurden, baute er an den Bahnübergang der Naundorfer Straße eine<br />

Gaststätte. Ursprünglich sollte sie größer werden, aber die Eisenbahn gestattete den Bau nicht. Und so baute er<br />

sie nur als kleinen Flachbau und nannte sie "Kiste". Die Töchter machten den Ausschank. "Freitags habe wir<br />

das Geld mit dem Handwagen nach Hause gefahren" sagte einmal meine Oma. Ja, er muss wohlhabend<br />

gewesen sein, der Vater Schubert. Er spekulierte auch mit Häusern. Von dem Haus an der Bahnhofstraße in<br />

Radebeul West, in dem jetzt die Apotheke ist, war er der Bauherr. Seine Töchter hatte er branchengerecht<br />

ausbilden lassen. <strong>Mein</strong>e Oma z. B. hatte zwei Berufe mit Lehrabschluss: Weißnäherin und Köchin. Er hat seine<br />

Töchter auch gut verheiratet, alle im mittelständigen Bürgertum. Seine Schwiegersöhne: Erben von Gasthöfen,<br />

Beamte, Bankangestellte. Einer seiner Enkel war der Kunstmaler Theodor Rosenhauer, ein anderer der Arzt Dr.<br />

Weber, der in Kötitz seine Praxis hatte.<br />

<strong>Mein</strong>e Oma heiratete in die Kaiserbrauerei der Familie Viehhäuser ein. Die befand sich an der Leipziger Straße in<br />

Naundorf. Ihr Ehemann betrieb die Brauerei, sie führte als achtzehnjährige junge Frau die zugehörige Gaststätte

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