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Mein Jahr 1945 - Coswig

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Türe nicht. Seine Leute müssen annehmen, dass er auch dieses Zimmer inspiziert hat. Dann setzt er sich an den<br />

Stubentisch. Auf dem Regal stehen die Bilder von Hans in Uniform, von Gretel und Ursel und ein Bild, auf dem<br />

alle drei zu sehen sind, mit Trauerflor. Er nimmt das Bild von Hans und stellt es vor sich auf den Tisch, sieht<br />

meine Mutter an und fragt: "Dein Mann?" "Nein, mein Bruder". "Kaputt?" "Ja". "Krieg?" "Ja, Bomben,<br />

Dresden". Dann stellt er die anderen Bilder auf den Tisch. "Auch kaputt?" "Ja, ganze Familie tot". Er nickt<br />

stumm und nachdenklich. Dann steht er auf, sagt etwas zu seinen Leuten in der Küche. Die nehmen Haltung an.<br />

Er geht an ihnen vorbei zur Küchentür, grüßt militärisch zu uns zurück. Die drei gehen wortlos. Der Offizier: Ein<br />

junger Mann, schlank, blond, blauäugig, korrekte Uniform. Als er gegangen ist, sagt meine Oma: "Der sah doch<br />

aus wie unser Harry" (ihr Enkelsohn, den sie aufgezogen hatte).<br />

Der nächste Besuch war stürmischer, er kam auch nicht durch das Gartentor. 6 Soldaten stiegen über das<br />

Zäunchen an der Rückseite unseres Gartens, wo der Komposthaufen war. Ausgerechnet an der Stelle, an der wir<br />

3 Flaschen Schnaps in einer Kiste vergraben hatten. Die Kiste hielt stand. - Die Russen steuerten auf die<br />

Waschhaustür zu. Die Tür war verschlossen, aber die Scheiben in der Tür durch die Detonationen zerbrochen.<br />

Sie schauten hinein und sahen dort viele gefüllte Flaschen, Weinballons, Weinflaschen, Schnapsflaschen: -<br />

unseren Wasservorrat. Für den Fall, dass die Wasserversorgung ausfällt, hatten wir alle Flaschen, die im Keller<br />

waren, ausgespült und mit Wasser gefüllt. Die Etiketten waren natürlich noch dran. Die Gruppe kam lachend und<br />

polternd in die Küche. Der eine, kräftig, braunhäutig, kurzes, schwarzes Haar, fasste die Oma bei der Hand und<br />

sagte: "Komm, Oma, Schnaps holen!" Die Oma sträubte sich, sie wollte ihre Töchter nicht alleine lassen. Sie<br />

sagte: "Ich würde selbst gerne einen trinken" und machte die Bewegung des Trinkens. Großer Jubel bei den<br />

Russen. Ein anderer sagte: "Uri, Uri". <strong>Mein</strong>e Mutter ging mit ihm in das Wohnzimmer und zeigte ihm aus ihrem<br />

Schmuckkasten ihre Armbanduhr und einige einfache Schmuckstücke. Die Uhr ließ er sich geben und ein kleines<br />

vergoldetes Herz. Das Herz fanden wir später am Gartentor wieder. - Inzwischen hatte einer den Zugang zum<br />

Waschhaus durch den Keller entdeckt. Er kam in die Küche und sagte: "Onli Woda.". Enttäuscht zog die Gruppe<br />

ab. Als sie raus war, sagte meine Oma: "Der mich angefasst hat, sah aus wie mein Viktor."<br />

Von Helgas Mutter hatten wir erfahren: "Im Lindenhof gibt's Pferdefleisch". Wir nahmen jeder einen Eimer und<br />

liefen zum Lindenhof. Tatsächlich, jeder bekam kostenlos ein gutes Stück Fleisch in seinen Eimer. <strong>Mein</strong>e Oma<br />

wusste wie man Pferdefleisch in Essig einlegen und es so konservieren konnte. Es gab dann mehrere Wochen<br />

bei uns sonntags Sauerbraten. - Beim Beschuss waren Russenpferde verletzt worden. Fleischermeister Noak, der<br />

Besitzer der Gaststätte mit Fleischerei "Erholung" auf der Spitzgrundstraße hatte von den Russen den Auftrag<br />

erhalten, die Tiere zu schlachten und das Fleisch an die Bevölkerung zu verteilen. Er holte sich den Grahl Erhard<br />

aus der Nachbarschaft, von dem er wusste, dass er beim Militär in der Küche gearbeitet hatte und vom

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