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Auf den Feldern begann die Kartoffelernte. Die Rationen auf Lebensmittelmarken waren so gering, dass wir<br />
hungerten. Jetzt zogen wir nach der Schule mit einem Korb im Rucksack und einer Gartenhacke hinaus; suchten<br />
Kartoffelfelder, die gerade abgeerntet wurden. Dann saßen wir mit dreißig bis fünfzig Leuten am Feldrain und<br />
warteten, bis der Bauer das Feld zum Kartoffelstoppeln frei gab. Meistens hatte ich mein Vokabelbuch mit und<br />
versuchte, die Zeit zum Lernen zu nutzen. Die Ernte ging folgendermaßen vor sich: Mit der Kartoffelschleuder<br />
fuhr der Bauer die Zeile entlang. Die Schleuder wurde von zwei Pferden gezogen. Sie warf die Kartoffeln aus der<br />
Zeile auf etwa 3 m Breite. Dann gingen die Kartoffelleser diesen Streifen ab und sammelten die Kartoffeln in<br />
Lesekörbe. Träger nahmen den Lesern die vollen Lesekörbe ab und tauschten sie gegen leer Körbe aus. Sie<br />
entleerten die Lesekörbe in größere Körbe, sogenannte Bänerte, die am Feldrain aufgestellt waren. Dort fuhr<br />
dann ein Knecht mit dem Gespann entlang, schüttete die Kartoffeln aus den Bänerten in den Kastenwagen und<br />
kutschierte sie in das Gehöft zum Einlagern. Das ging so, bis das Feld abgeerntet war. Aber danach gab der<br />
Bauer das Feld noch lange nicht frei. Er eggte jetzt über das Feld quer zu den Furchen, und die Kartoffelleser<br />
mussten die wenigen Kartoffeln, die noch aus der Erde kamen, aufsammeln. Und dann eggte er noch einmal<br />
senkrecht dazu und ließ wieder aufsammeln. Erst jetzt gab er das Feld frei. Die Kartoffelstoppler stürzten wie eine<br />
Welle auf den Acker. So breit das Feld war, Person neben Person, wühlten wir mit unseren dafür völlig<br />
ungeeigneten Hacken die Erde durch und versuchten, Kartoffeln zu finden, die der Technologie des Bauern<br />
zufällig entgangen waren. Fand ich wirklich eine, dann hatte ich sie meistens noch mitten durchgehackt. - Wenn<br />
der Schwall Menschen am anderen Ende des Feldes ankam, dann war der Acker so leer von Kartoffeln, dass<br />
längeres Stoppeln sinnlos war. Wir zogen weiter und versuchten, noch ein Kartoffelfeld zu finden. Steckte auf<br />
einem abgeernteten Acker ein Stock mit einem Strohwisch dran, dann durften wir nicht darauf stoppeln; das hieß:<br />
Der Bauer hatte noch nicht zweimal geeggt. Das Stoppelergebnis von einem Nachmittag und Abend reichte für<br />
das Abendbrot. Die Muttel ging den ganzen Tag stoppeln und brachte etwas mehr nach Hause.<br />
Die Kartoffeln waren rationiert und wurden nur in Verbindung mit den Kartoffelkarten verkauft. Während des<br />
Krieges durften nur die Händler Kartoffeln verkaufen, auch die sogenannten Einkellerungskartoffeln, die bis zur<br />
neuen Ernte im nächsten Herbst reichen sollten. Jetzt durften wir die Kartoffeln auch beim Bauern kaufen -<br />
natürlich auf Kartoffelkarte. Der Cousin meiner Mutter und seine Frau - Onkel Paul und Tante Martha - besaßen<br />
ein ansehnliches Gehöft in Strießen. Vor dem Kriege hatten meine Eltern bei ihnen ihre Winterkartoffeln gekauft.<br />
Onkel Paul hatte sie uns - und vielen anderen auch - mit dem Gespann frei Haus geliefert. Jetzt wollten meine<br />
Eltern die Kartoffeln wieder bei ihm kaufen. Anliefern lehnte er ab. Selbstholen! Am Sonntag Morgen zogen wir<br />
mit unserem Handwägelchen los, meine Eltern, Tante Liesel, Onkel Martin und ich. Es ging lustig die Straße<br />
entlang - Weinböhla - Niederau. Wir hatten gutes Herbstwetter. Hinter Niederau war die Straße nicht mehr<br />
befestigt, hier war die Fahrt schon schwerer. Aber da konnten wir an ein Pferdefuhrwerk anhängen. Wir<br />
schwangen uns auf den Pferdewagen, und es ging lustig weiter. Nur die Muttel hatte sich aus Scherz auf das