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Mein Jahr 1945 - Coswig

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seiner Familie in der Waisenhausgasse gewohnt. Von Beruf war er Holzbildhauer; seine Werkstatt hatte er ganz<br />

in der Nähe der Wohnung. Als aktiver Sozialdemokrat war er zur Zeit des Sozialistengesetzes von seinem<br />

Arbeitgeber auf die Straße gesetzt worden. Da hatte er sich selbstständig gemacht und fortan wunderschöne<br />

Schnitzereien gearbeitet. Die beiden Köpfe an unserer <strong>Coswig</strong>er Haustür, heute im Vorhaus, den geschnitzten<br />

Hirsch, einen Elefanten und einen Adler sowie ein Marionetten-Teufelskopf zeugen noch heute von seiner<br />

Kunstfertigkeit. Nun ist er verschollen. Seine Arbeiten sind namenlos, da er sie nicht signiert hat. - Er und seine<br />

Familie sind wahrscheinlich nach dem Angriff auf dem Altmarkt mit verbrannt worden wie Hunderte andere<br />

Bombenopfer.<br />

Onkel Horst wusste einen Fährmann, der mit einem Ruderboot über die Elbe setzte. Zu dem brachte er uns. Der<br />

Fährmann setzte sich ans Steuerruder, dann wartete er, bis genügend Männer zum Rudern da waren, und nach<br />

dem Abkassieren ging die Fahrt los. Ludwig Richters "Überfahrt am Schreckenstein" konnte nicht romantischer<br />

gewesen sein. Zur Straßenbahn war es nicht weit, und die Annehmlichkeit der Rückreise ließ uns über den ersten<br />

Teil der Reise witzeln. Wir waren froh, unsere Verwandten, besonders die Großmutter, gesund angetroffen zu<br />

haben.<br />

*<br />

<strong>Mein</strong>e Schulkameraden, die näher am Spitzgrund wohnten, hatten es schon ausgespürt: Die Russen haben bei<br />

Kreyern im Wald ein richtiges Dorf aufgebaut. Das musste ich auch sehen. Ich schloss mich meinen<br />

Schulkameraden an. Die waren erfahren und hatten schon Geschäftstüchtigkeit erworben. Nimm etwas mit, da<br />

kannst du etwas zum Essen eintauschen, rieten sie mir. Ja, was? - Ich hatte ja nichts, was Männer interessieren<br />

konnte. Schließlich nahm ich einen neuen Notizblock mit. So ausgerüstet zog ich mit durch den Spitzgrund. <strong>Mein</strong>e<br />

Kameraden schienen besser vorbereitet. Einer hatte sogar einen kleinen Kastenwagen mit, er sollte auf dem<br />

Rückweg "Pferdeäppel" sammeln - Mist als Dung für den Garten. - Oberhalb des Forsthauses Kreyern, dort wo<br />

jetzt der Parkplatz ist, hatten die Russen eine Feldschmiede eingerichtet. Die Russen duldeten uns Kinder<br />

zwischen sich. Ich war begeistert, schaute zu wie Hufeisen geschmiedet- und Pferde beschlagen wurden. Einer<br />

schmiedete sogar ein wunderschönes Messer. Alles das unter freiem Himmel mit ganz einfachen Werkzeugen. -<br />

Erst als meine Kameraden nach Hause wollten, besann ich mich, weshalb wir eigentlich hierher gekommen waren<br />

. Ich bot meinen Notizblock an. Ein Russe nahm ihn, blätterte ihn durch. Zu essen konnte er mir dafür nichts<br />

geben. Er bot mir zwei Scheine Alliiertengeld an. - Später im Laden kannten unsere Kaufleute das Geld nicht und<br />

wollten es auch nicht.<br />

Das eigentliche Dorf lernte ich erst kennen, als die Russen schon abgezogen waren und wir uns das Holz holen<br />

durften. Rings um die Lobetanzwiese waren Rindenhütten errichtet. Das Traggerüst wie ein leichter Dachstuhl

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