Eildienst 09/07 - Landkreistag NRW
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kreise – 1924 in Preußischer <strong>Landkreistag</strong><br />
umbenannt.<br />
Gravierende Schwierigkeiten bei der Ernährung<br />
der Bevölkerung und die fehlende Vertretung<br />
der Landkreise in den Organisationen<br />
der Kriegsernährungswirtschaft waren<br />
der unmittelbare Anlass für die Verbandsgründung.<br />
So bildeten Stadt- und Landkreise<br />
zwar gemeinsam den organisatorischen<br />
Unterbau der staatlichen Lebensmittelbewirtschaftung.<br />
Anders als die Städte und ihr<br />
einflussreicher Interessenverband, der Städtetag,<br />
hatten die Landkreise jedoch keinen<br />
Einfluss auf die Gestaltung der Verteilung<br />
der Lebensmittel und die Ausarbeitung gesetzlicher<br />
Regelungen. Dabei waren Hunger<br />
und Versorgungsprobleme keineswegs<br />
nur ein großstädtisches Phänomen. Auch die<br />
Bevölkerung in den industrialisierten, vorstädtischen<br />
Gebieten der bevölkerungsreichen<br />
Landkreise vor allem in den westlichen Provinzen<br />
litt bittere Not.<br />
Da lag es nahe, dass sich die Landräte dieser<br />
industrialisierten, bevölkerungsreichen Landkreise<br />
in der Rheinprovinz und Westfalen an<br />
der Verbandsgründung besonders stark be -<br />
teiligten. Bei allen Treffen, die die beiden<br />
Landräte der Berliner Vorortlandkreise, von<br />
Achenbach und Busch, ab Mai 1916 organisierten,<br />
kam die Mehrheit der Teilnehmer<br />
aus Rheinland und Westfalen. Es war ein<br />
westfälischer Landrat, Hermann zur Nieden<br />
(Landkreis Gelsenkirchen), der beim ersten<br />
Treffen den Wunsch zum Ausdruck brachte,<br />
„über den Rahmen der heute zur Beratung<br />
stehenden Frage (...) hinaus, ständig – we -<br />
nigstens während der Kriegsdauer – unter<br />
Erweiterung der Teilnehmer zusammenzukommen,<br />
um die gegenseitigen Sorgen und<br />
Wünsche, insbesondere über die Fragen der<br />
Lebensmittelversorgung austauschen und<br />
besprechen zu können.“ 2<br />
Die gemeinsame Notlage der bevölkerungsreichen<br />
Landkreise in den östlichen und westlichen<br />
Provinzen und ihr Zusammenspiel<br />
ermöglichte die Gründung des Landkreisverbandes.<br />
Die Königlich Preußischen<br />
Landräte und die Gründung<br />
der Republik<br />
Bis zum Ende der Monarchie wurden in Preußen<br />
alle Landräte vom König ernannt. Dieses<br />
Verfahren und der hohe Selbstrekrutierungsgrad<br />
der höheren Beamtenschaft führte dazu,<br />
dass die preußischen Landräte am Vorabend<br />
der Revolution eine weitgehend homogene<br />
Gruppe waren: Immerhin 80 Prozent stammten<br />
aus Familien von Beamten, Offizieren und<br />
Großgrundbesitzern; mehr als die Hälfte war<br />
adelig, nur in den Westprovinzen waren die<br />
bürgerlichen Landräte in der Mehrheit. Dort<br />
Schwerpunkt: 60 Jahre <strong>Landkreistag</strong> <strong>NRW</strong> 1947 – 20<strong>07</strong><br />
lag der Anteil der Adeligen 1918 bei 42,4<br />
Prozent.<br />
Unbrauchbarmachung von Waffen der<br />
deutschen Armee<br />
Naturgemäß stand diese weitgehend homogene<br />
Gruppe konservativer, monarchistisch<br />
eingestellter Landräte nach der Revolution der<br />
Republik besonders fremd gegenüber. Anders<br />
als bei den gewählten Bürgermeistern lag die<br />
wesentliche Legitimierung der Landräte in ihrer<br />
Ernennung. Durch die Revolution verloren<br />
sie ihren obersten Dienst herrn, auf den sie ihren<br />
Treueeid geleistet hatten.<br />
Da die ehrenamtlichen Verbandspolitiker bei<br />
Ausbruch der Revolution bis auf den Vorsitzenden<br />
allesamt 'Königlich Preußische<br />
Landräte' waren, hatten diese Faktoren direkte<br />
und gravierende Auswirkungen auf die<br />
Interessenpolitik des <strong>Landkreistag</strong>s und seine<br />
Haltung zur Republik.<br />
Bis zuletzt hatte der Verband versucht, die<br />
„fürchterlichen Ereignisse“, wie Geschäftsführer<br />
Ulrich von Hassell die Revolution im<br />
internen Schriftverkehr mit Verbandspolitikern<br />
umschrieb, zu verhindern. Den Interessenverband<br />
der Landkreise zwang der Systemumbruch,<br />
wenn er nicht völlig an Einfluss<br />
verlieren wollte, zur Änderung seiner Adressaten,<br />
also zur Kontaktaufnahme mit den<br />
bis vor kurzem noch als ‘Staatsfeinde’ geächteten,<br />
nun aber regierenden Sozialdemokraten.<br />
Bis das in der Praxis gelang kämpfte<br />
der Verband der Preußischen Landkreise<br />
engagiert aber einflusslos gegen die Demokratisierung<br />
des Kreistagswahlrechts, anmaßende<br />
Arbeiter- und Soldatenräte und die<br />
Absetzung von Landräten.<br />
Die Revolution hatte gravierende Auswirkungen<br />
auf die Zusammensetzung der Verbandsorgane.<br />
Von den Landratsabsetzungen<br />
und Pensionierungen auf eigenen Wunsch<br />
infolge der Demokratisierung der Verwaltung<br />
nach der Revolution und dem Kapp-<br />
Lüttwitz-Putsch war der <strong>Landkreistag</strong> überproportional<br />
betroffen. Vierzig Prozent der<br />
Landräte, die dem Verbandsvorstand des Gesamtverbandes<br />
bei Ausbruch der Revolution<br />
angehört hatten, waren ein Jahr später<br />
keine amtierenden Landräte mehr. Allein in<br />
der Rheinprovinz ließen sich bis Ende 1920<br />
neun Landräte deutlich vor Erreichen der<br />
Altersgrenze in den Ruhestand versetzen –<br />
aus kritischer Distanz und/oder infolge politischen<br />
Drucks des jeweiligen Kreistages.<br />
Unter ihnen war der erste Vorsitzende des<br />
Rheinischen Unterverbandes, Landrat Eduard<br />
Kesselkaul (Landkreis Düren).<br />
Bezeichnend für das Selbstverständnis des<br />
<strong>Landkreistag</strong>s und seiner Verbandspolitiker<br />
zu diesem Zeitpunkt war, dass Landräte auch<br />
Kundgebung des Mindener Arbeiter- und Soldatenrats<br />
auf dem Marktplatz am 9. November<br />
1918<br />
nach dem Ausscheiden aus ihren Ämtern<br />
weiterhin als ordentliche Mitglieder der Verbandsorgane<br />
betrachtet wurden, wie zum<br />
Beispiel Landrat Kesselkaul, der weiterhin<br />
Vorsitzender des Unterverbandes blieb. Dabei<br />
waren auch damals die Landkreise die<br />
Mitglieder des kommunalen Spitzenverbandes<br />
und eben nicht die Landräte. 3<br />
2. Die Gründung des<br />
Rheinischen Unterverbandes<br />
– der erste regionale<br />
Landkreisverband<br />
Die Besetzung des Rheinlandes<br />
„Die Gebiete auf dem linken Rheinufer<br />
werden durch die örtlichen Behörden unter<br />
Aufsicht der Besatzungstruppen der Alliierten<br />
und Vereinigten Staaten verwaltet.<br />
Die Truppen der Alliierten und Vereinigten<br />
Staaten werden die Besetzung dieser Gebiete<br />
durch Garnisonen bewirken, die die<br />
wichtigsten Rheinübergänge (Mainz, Coblenz,<br />
Köln) inbegriffen je einen Brückenkopf<br />
von 30 km Durchmesser auf dem rechten<br />
Ufer beherrschen und außerdem die<br />
2 Niederschrift der Sitzung vom 22.5.1916, in<br />
Achenbach, Adolf von, Die Entstehung des<br />
Preußischen <strong>Landkreistag</strong>s, S. 5 (Zitat ebd.).<br />
Kitschun, Susanne, Der Preußische und derr<br />
Deutsche <strong>Landkreistag</strong>, Die Interessenvertretung<br />
der Landkreise zwischen Erstem Weltkrieg<br />
und „Drittem Reich“, in: Der Landkreis,<br />
Jg. 76, 2006, S. 565.<br />
3 Kitschun, <strong>Landkreistag</strong>, S. 560f., 644ff.; Romeyk,<br />
Horst, Verwaltungs- und Behördengeschichte<br />
der Rheinprovinz, 1985, S. 230f.<br />
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