Eildienst 09/07 - Landkreistag NRW
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dieser Stelle aus (...) Stellung genommen<br />
werden kann.“ 21<br />
Ob und in welchem Maße diese sehr klare<br />
Aufgabenteilung zwischen Unterverband<br />
und Gesamtverband aus der starken Arbeitsbelastung<br />
vor Ort infolge der Besetzung resultierte,<br />
geht aus den Quellen nicht hervor.<br />
In der Nachbarprovinz Westfalen gab es, wie<br />
noch zu zeigen sein wird, ein gänzlich anderes<br />
Verständnis von der Arbeitsweise und den<br />
Kompetenzen einer provinziellen Landkreisversammlung.<br />
Von Reparationsleistungen<br />
und ,rücksichtsloser Wilderei'<br />
„Die Deutsche Regierung verpflichtet sich,<br />
den alliierten und assoziierten Truppen alle<br />
für sie erforderlichen militärischen Gebäude<br />
zur Verfügung zu stellen und sie in gutem<br />
Zustande zu erhalten; desgleichen die<br />
erforderlichen Einrichtungsgegenstände, Heizung<br />
und Beleuchtung (...). Unter diese<br />
Bestimmung fallen die Unterkunft für die<br />
Offiziere und Mannschaften, die Wachräume,<br />
die Kanzleien, die Verwaltungen, die<br />
Regimentsstäbe und Hauptquartiere, die<br />
Werkstätten,Vorratsräume und Hospitäler,<br />
Wäschereien, Regimentsschulen, Reitbahnen,<br />
Stallungen, Exerzierplätze, Infanterieund<br />
Artillerieschießplätze, Flugplätze, Weiden,<br />
Lebensmittellager und Manöverfelder<br />
sowie Grundstücke für die Theater und<br />
Lichtspielhäuser und Sport- und Erholungsplätze<br />
für die Truppen in genügender Zahl“,<br />
Rheinlandabkommen vom 28. Juni1919, §8.<br />
„Die Truppen (=Die Besatzungstruppen) trugen<br />
über sich selbst den höchsten Sieg davon,<br />
indem sie seit mehr als 12 Monaten<br />
der rheinischen Bevölkerung die Wohltaten<br />
der Ordnung, ihre Hilfe bei der Ernährung<br />
und das Beispiel ihrer Dienstzucht angedeihen<br />
ließen“, so der Aufruf der Interalliierten<br />
Rheinlandkommission an die Bevölkerung<br />
des besetzten Gebietes vom 10. Januar<br />
1920.<br />
Auch wenn der Tätigkeitsbereich des Verbandes<br />
in der Praxis schnell umfassender wurde<br />
als in der Gründungssatzung festgelegt,<br />
waren viele der von Adelmann benannten<br />
Aufgaben der ersten Monate Kriegsfolgen<br />
und/oder der besonderen Situation im besetzten<br />
Gebiet geschuldet: Dazu gehörte die<br />
Zwangsbewirtschaftung von Nahrungsmitteln<br />
und Kohle, ebenso der Mangel an Düngemitteln.<br />
Immer noch litten viele Menschen<br />
im Deutschen Reich an Hunger und<br />
Unterernährung; die inländische Nahrungsmittelproduktion<br />
brauchte mehrere Jahre,<br />
bis sie das Vorkriegsniveau wieder erreichte.<br />
Hinzu kamen Reparationen. Schon vor der<br />
ersten genauen Festlegung der Repara-<br />
Schwerpunkt: 60 Jahre <strong>Landkreistag</strong> <strong>NRW</strong> 1947 – 20<strong>07</strong><br />
des Waffenstillstandsabkommens umfangreiche<br />
Sachlieferungen zu leisten. Abgegeben<br />
werden mussten 50 Prozent der Lastkraftwagen,<br />
rund 25 Prozent der Eisenbahnwagen<br />
und Lokomotiven, alle großen Schif-<br />
Soester Börde: Erntearbeit im Rübenfeld<br />
fe und nicht zuletzt hunderttausende von<br />
Nutztieren (jeweils Stand 1913). Diese Sachlieferungen<br />
wurden nicht auf die Reparationsforderungen<br />
der Alliierten angerechnet.<br />
Vor allem die „Viehablieferung an den Feind-<br />
Roggenernte in Vohswinkel: Aufstellen der<br />
Kornhocken<br />
bund“, wie diese Reparationsleistung von den<br />
Landräten genannt wurde, war ein vieldiskutiertes<br />
Thema. Mehr als 10.000 Rinder, fast<br />
3000 Schafe, 500 Ziegen, über 2000 Hühner<br />
und eine große Zahl an Pferden musste<br />
die Rheinprovinz abgeben. Für die Aufbringung<br />
der Tiere waren die Landkreise<br />
verantwortlich.Insbesondere im besetzten<br />
Gebiet gab es „unter den rheinischen Landwirten<br />
eine starke Missstimmung über die für<br />
die Viehablieferung vorgenommene Preisfestsetzung“<br />
durch das Reich. Die festgesetzten<br />
Preise, die als Entschädigung der Landwirte<br />
für die abzuliefernden Tiere gedacht<br />
waren, wurden einhellig für viel zu niedrig<br />
erachtet.<br />
Der Rheinische Landkreisverband setzte sich<br />
gemeinsam mit dem Rheinischen Oberpräsidenten<br />
auf Reichsebene für die Bewilligung<br />
höherer, der Marktlage entsprechender<br />
Preise ein. Die Landräte waren der Ansicht,<br />
dass die Abgabe der Tiere als Teil des Friedensvertrages<br />
von allen Teilen der Bevölkerung<br />
geschultert werden müsse und nicht<br />
finanziell zulasten der Landwirte und Landkreise<br />
gehen dürfe. Unterstützt wurde der<br />
Aufbringen und Abgabe von Pferden als<br />
Reparationsleistung<br />
Unterverband auch vom Preußischen Landkreisverband,<br />
der sich in dieser Angelegenheit<br />
an den Minister für Landwirtschaft, Domänen<br />
und Forsten wandte:<br />
„Die Verhältnisse der Tierhalter im besetzten<br />
Gebiet sind (...) in der Tat durch die<br />
Anforderungen der Besatzungsbehörden<br />
weit ungünstigere als die der im unbesetzten<br />
Deutschland ansässigen Landwirte. Muss<br />
schon aus diesem Grunde die Lage im Rheinland<br />
eine besondere Beurteilung erfahren,<br />
so führen weiterhin Erwägungen politischer<br />
Art dazu, der im besetzten Gebiet herrschenden<br />
Stimmung nach Möglichkeit Rechnung<br />
zu tragen.“<br />
Im Februar 1920 stellte sich der erste Erfolg<br />
ein: Die Reichsregierung bewilligte einen<br />
Aufschlag von 20 Prozent auf die alle Viehpreise,<br />
dazu einen besonderen Aufschlag von<br />
zehn Prozent für die besetzten Gebiete. Dem<br />
Unterverband war das noch zu wenig. Er<br />
kämpfte weiter, empfahl den Landkreisen<br />
als ultima ratio die Klage beim Reichswirtschaftsgericht<br />
und entwarf ein Musterformular<br />
für die Klagen. 22<br />
Neben derartig wichtigen Themen mussten<br />
sich die Verbandspolitiker mit den alltäglichen<br />
Widrigkeiten im besetzten Gebiet auseinandersetzen.<br />
Dazu gehörte die Bedrohung<br />
des Wildviehbestandes durch „rücksichtsloses<br />
Wildern der Offiziere und Soldaten“<br />
der Entente, das auch nach Inkrafttreten des<br />
21 Protokoll der Mitgliederversammlung des Rheinischen<br />
Unterverbandes vom 29.<strong>07</strong>.1921, in:<br />
Aktenbestand LKT <strong>NRW</strong>.<br />
22 Rundschreiben des Oberpräsidenten der Rheinprovinz<br />
zur Abgabe von Tieren zur Erfüllung<br />
des Friedensvertrages vom 24.12.1919, Schreiben<br />
des Geschäftsführers des Preußischen<br />
Landkreisverbandes, von Bredow an den Minister<br />
für Landwirtschaft, Domänen und Forsten<br />
vom 21.01.1920 (Zitate ebd.) und Protokoll<br />
der Mitgliederversammlung des Rheinischen<br />
Unterverbandes vom 25.02.1920, in: Aktenbestand<br />
LKT <strong>NRW</strong>. Henning, Friedrich-Wilhelm,<br />
Das industrialisierte Deutschland 1914-1990,<br />
1991, S. 54f., 72ff.<br />
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