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Jakob Kindinger

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9. Rückblick: <strong>Jakob</strong> <strong>Kindinger</strong> – ein politisches Leben<br />

Am Anfang unserer Arbeit war es nur ein Straßenname, ein Gedenkstein mit einem uns noch fremden<br />

Namen. Die <strong>Jakob</strong>-<strong>Kindinger</strong>-Straße ist nicht weit von unserer Schule entfernt und liegt abseits, ist nur<br />

wenigen bekannt. Nur dem unermüdlichen Einsatz von Gewerkschaftern, Mitgliedern der „Vereinigung<br />

der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V.“ (VVN-BdA) und<br />

insbesondere dem früheren Sekretär des DGB-Ortskartells Gert Helbling ist es zu verdanken, dass<br />

<strong>Kindinger</strong> in dieser Form gewürdigt wird und auch zum Namengeber der gleichnamigen<br />

Geschichtswerkstatt wurde. Für Helbling, der <strong>Kindinger</strong> persönlich kennen gelernt hatte, war dieser<br />

auch in den Erzählungen Anderer immer „als etwas Besonderes“ erschienen, ein Mann, von dem er „nie<br />

etwas Schlechtes“ gehört hatte. 390<br />

Inzwischen hat für uns die Person <strong>Kindinger</strong>s Konturen gewonnen und ist uns vertrauter geworden. Wir<br />

würdigen in Bensheim mit <strong>Jakob</strong> <strong>Kindinger</strong> den kommunistischen Widerstandskämpfer, der von einem<br />

Unrechtsregime verfolgt wurde, viele Jahre seines Lebens unter menschenverachtenden Bedingungen<br />

inhaftiert war und sich als Menschenretter bewährte. Mit Recht wird deshalb seiner gedacht!<br />

Bereits der Titel dieses Buches signalisiert: <strong>Kindinger</strong> sieht sich – und wir ihn – vor allem als einen<br />

politischen Menschen, dessen vorrangiges Ziel die Realisierung kommunistischer Ideale war. Dafür<br />

nahm er Entbehrungen auf sich.<br />

Die Grundüberzeugung, mit dem Rücken zur Wand auf der „richtigen“ Seite zu stehen, gab ihm Kraft<br />

zum Widerstand, auch Kraft zur Unterstützung von Mithäftlingen unter lebensbedrohlichen<br />

Bedingungen. Dass er seine Unterstützung nicht nur kommunistischen Gesinnungsgenossen<br />

zukommen ließ, das ehrt ihn.<br />

Viele haben ihn gewürdigt, als Gewerkschafter, als Blockältesten, als Kommunalpolitiker – und aus allen<br />

Äußerungen spricht die Anerkennung für einen engagierten Menschen, der sich eben nicht in<br />

unterschiedliche Schubladen politischen Tuns einordnen lässt.<br />

Dass er nach den Verfolgungen in der NS-Zeit und der Befreiung von Buchenwald im Spannungsfeld<br />

des Ost-West-Konflikts sich nicht als Vorbild gewürdigt, sondern als Mitglied von KPD und Betriebsrat<br />

im Westen Deutschlands „verfolgt“ sah, das hat tragische Züge und weist ihn als Opfer des Kalten<br />

Kriegs aus. In seiner undifferenzierten Haltung zum Sowjetsystem, das von ihm gleichsam als Ideal<br />

einem anzuklagenden „amerikanischen Imperialismus“ gegenübergestellt wurde, ist er freilich zugleich<br />

Ausdruck des Kalten Kriegs. Dass Stalinismus sich auch als die „effektivste Form des<br />

Antikommunismus“ (Werner Hofmann) auswirkte, das wurde ihm offensichtlich erst spät klar.<br />

Die DDR war für <strong>Kindinger</strong> ein großes – auf den ersten Blick nicht kritisch hinterfragtes – Vorbild,<br />

scheinbare Verwirklichung kommunistischen Gedankengutes. Er wollte die DDR seinem Freundeskreis<br />

nahe bringen. Helmut Gondolph berichtete von den Errungenschaften, die er auf den Einladungsfahrten<br />

in die DDR seinen Mitreisenden nahe bringen wollte, z. B. die niedrigen Miet- und Kartoffelpreise. An<br />

den beschönigenden Angaben hielt er trotz abweichender Fakten zunächst fest. Allerdings wird von ihm<br />

auch berichtet, dass er in seinen letzten Lebensjahren immer wieder betont habe: „Die DDR, das ist<br />

nicht der Sozialismus, für den wir gekämpft haben!“ Er war also gleichsam mit zwei Welten konfrontiert,<br />

die er nicht bejahen konnte – gesundheitlich schwer geschädigt und privat vereinsamt. Das zwiespältige<br />

Urteil, das die politischen Führungsoffiziere in der DDR über ihn fällten, war ihm sicher nicht bekannt.<br />

Es enthält durchaus Charakteristika, die von anderen Bekannten <strong>Kindinger</strong>s geteilt werden: <strong>Kindinger</strong><br />

war offenbar unduldsam, rechthaberisch, im Umgang mit Frauen dominant, wenig respektvoll.<br />

390 Interview mit Gert Helbling vom 23. Dezember 2005. Gert Helbling erwähnt u.a. den 1. Mai 1976, als der ihm bis dahin<br />

unbekannte <strong>Kindinger</strong> (der nach seinem Schlaganfall bereits nicht mehr sprechen konnte) nach Helblings Rede zum 1. Mai<br />

im Bensheimer „Bierkeller“ auf ihn „zugestürmt“ sei und ihm gratuliert habe. Helbling empfand das als eine besondere<br />

Ehrung; die Zuhörer hätten diese Geste gegenüber dem neuen Sekretär des DGB-Ortskartells mit großem Beifall gewürdigt.<br />

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