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Jakob Kindinger

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Schaffung einer Parteiorganisation überlebensnotwendig sei. Sie sollte das gesamte Lager umfassen,<br />

aktiv die Lebensbedingungen der Häftlinge verbessern und sie vor allem vor willkürlicher Gewalt und<br />

tödlichen Kommandos bewahren. Selbstverständlich war es nicht möglich Versammlungen<br />

einzuberufen und durch demokratische Wahlen eine Leitung zu bestimmen. Deshalb ergab sich ein<br />

anderer Weg: In Buchenwald waren hohe kommunistische Parteifunktionäre inhaftiert, die durch ihr<br />

Ansehen und ihre Autorität nach und nach antifaschistische Genossen um sich sammelten.<br />

Allerdings sahen viele Genossen in der Bildung einer Organisation eine große Gefahr. Sie befürchteten,<br />

dass eine zentrale Gruppe viel leichter enttarnt werden könne und zogen es vor, dass nur die Genossen<br />

zusammenarbeiteten, die sich schon nachweislich vor Buchenwald kannten. Auf diese Weise wollten<br />

sie erreichen, dass die SS keine politischen, sondern freundschaftliche Motive in Zusammenkünften der<br />

Genossen erkannte. Trotz der Zweifler war die Bildung der Internationalen Lagerkomitees nicht<br />

aufzuhalten.<br />

Die Mitglieder des ILK sorgten für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der<br />

Gefangenen, z.B. eine gerechte und gleichmäßige Verteilung der Essensrationen und verhinderten<br />

Gewaltaktionen von Häftlingsfunktionären an Mithäftlingen. Sie beeinflussten die SS-Angehörigen, um<br />

sie zu korrumpieren und ihrer Gewalt zu trotzen. Hinter all diesen Maßnahmen stand die notwendige<br />

Erhaltung der seelischen Widerstandskraft und der antifaschistischen Idee, ohne die ein Überleben des<br />

ILK nicht möglich gewesen wäre. Die Genossen akzeptierten oftmals ihre Misere als Strafe Gottes,<br />

gegen die man nicht ankämpfen konnte.<br />

Zum Erhalt des Willens zum Widerstand mussten allerdings Informationen von außen in das Lager<br />

gelangen, die den Gefangenen Hoffnung gaben. Bald entwickelte sich ein Nachrichtendienst innerhalb<br />

des Lagers. Häftlinge aus den überfallenen Ländern brachten Informationen und das<br />

Elektrikerkommando errichtete in seiner Werkstatt waghalsig ein System von illegalen Sendern und<br />

Empfängern mit Hilfe derer sie Nachrichten erhielten, die dann von Mund zu Mund weitergegeben<br />

wurden. Ziel war es, alle Häftlingen, egal aus welchem Land, auf dem Laufenden zu halten, damit sie<br />

der faschistischen Propaganda nicht nachgaben und ihr moralischer und aktiver Widerstand nicht<br />

zerbrach.<br />

Es gab aber auch Arbeiten im Lager, die die Kriminellen nicht verrichten konnten bzw. durften, weil sie<br />

entweder unqualifiziert oder unzuverlässig waren. Dazu gehörten Arbeiten an Präzisionsmaschinen in<br />

den Werkstätten, für die man Facharbeiter benötigte und keine Einbrecher und Diebe. Diese<br />

Facharbeiter waren ausschließlich unter den politischen Gefangenen zu finden und konnten nicht mit<br />

Gewalt zu Leistungen an ihren Maschinen gezwungen werden. Daneben gewannen die politischen<br />

Gefangenen die Oberhand in den Verwaltungsstellen, wo sie sich um die Buchführung, Abrechnungen<br />

und Arbeitsstatistik kümmern mussten. Außerdem hatten sie den Häftlingskrankenbau fest in ihrer<br />

Hand. Durch die starke Präsenz der Genossen gelang es der SS nicht mehr die Arbeiter zu<br />

kontrollieren, die somit die Möglichkeit hatten, Materialien und andere Geräte aus den Werkstätten zu<br />

schmuggeln. Die SS-Leute waren auf die qualifizierten Fachleute angewiesen und verhielten sich<br />

deshalb ihnen gegenüber dementsprechend „korrekt“. Für das ILK bedeutete dies, dass sie ihren<br />

Einfluss nutzen konnten, um die Kriminellen von den Funktionsposten abzulösen und stattdessen ihre<br />

zuverlässigen Kameraden einzusetzen.<br />

Auf Initiative des sozialdemokratischen Funktionärs Hermann Brill wurde im Februar 1944 sogar ein<br />

Volksfront-Komitee in Buchenwald gebildet, dessen Leitung sich aus vier Deutschen zusammen setzte,<br />

zwei Funktionäre der SPD, ein Kommunist und ein Mitglied aus dem katholischen Lager. Dieses<br />

Komitee publizierte am 1. Mai 1944 ein Forderungsprogramm der politischen Gefangenen für die Zeit<br />

nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus. 158<br />

Für den Einzelnen hätten die verschiedenen Einflussmöglichkeiten nicht viel gebracht, aber zentral<br />

organisiert konnte sich dadurch ein mächtiger Widerstand bilden, der sogar später den bewaffneten<br />

158 Langbein, Hermann: ….nicht wie die Schafe zur Schlachtbank. Widerstand in den nationalsozialistischen<br />

Konzentrationslagern 1938-1945. Frankfurt/Main 1980, S. 67.<br />

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