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Die Person in der Arbeitswelt - GLE-International

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versponnen. Je<strong>der</strong> Mensch muß arbeiten. Ich kann doch<br />

nicht e<strong>in</strong>fach, nur weil ich es gerne hätte, e<strong>in</strong>fach nicht<br />

mehr arbeiten auf e<strong>in</strong>e Weile. Dann b<strong>in</strong> ich e<strong>in</strong> Sozialschmarotzer.<br />

Wer b<strong>in</strong> ich denn dann noch?” Nur e<strong>in</strong>e wirklich<br />

schwere körperliche Erkrankung war ihrer Me<strong>in</strong>ung<br />

nach e<strong>in</strong>e Rechtfertigung für e<strong>in</strong> Nichtarbeiten im S<strong>in</strong>ne<br />

von Berufstätigkeit. Darum hatte Anna bei ihren diversen<br />

Krankenständen Höllenqualen gelitten und geme<strong>in</strong>t, je<strong>der</strong><br />

müsse sie verurteilen, wenn sie sich ausgelaugt fühle und<br />

darum nicht ihrem Job nachkommen wollte.<br />

Anna neigte sehr dazu, von diesem Thema immer wie<strong>der</strong><br />

wegzugehen, um e<strong>in</strong>fach nur die Arbeitssituation und ihr<br />

eigenes Nichtzurechtkommen damit zu beklagen. Es war<br />

wichtig für sie, sie immer wie<strong>der</strong> zum Thema zurückzuholen,<br />

sie mit ihrem Abgleiten aus dem jeweiligen verspürten<br />

Gefühl zu konfrontieren. Sie konnte sich auch nicht vorstellen,<br />

daß jemand geduldig neben und mit ihr ausharren könne,<br />

bis sie ihren eigenen Empf<strong>in</strong>dungen und <strong>der</strong>en<br />

Konsquenzen <strong>in</strong>s Auge zu schauen wagte. Ähnlich wie auch<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeitssituation o<strong>der</strong> <strong>in</strong> ihrem Privatleben versuchte<br />

sie auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Therapie, die eventuelle Sichtweise ihres<br />

Gegenübers ausf<strong>in</strong>dig zu machen und bemühte sich dann<br />

entsprechend zu handeln.<br />

Das Ansprechen dieses Sachverhaltes brachte dann auch<br />

e<strong>in</strong>e erste Klärung ihrer eigenen Sichtweise von Arbeit. Anna<br />

erlebte Therapie als Arbeit, als Schwerstarbeit an sich selbst.<br />

Sie konnte spüren, daß sie als <strong>Person</strong> zu kurz käme, wenn<br />

sie nur versuchte, sich auf me<strong>in</strong>e mögliche Sichtweise e<strong>in</strong>zustellen.<br />

Im S<strong>in</strong>ne ihres früheren Verständnisses von Arbeit<br />

waren die Therapiestunden unnütz. Sie <strong>in</strong>vestierte hier Zeit,<br />

Geld und Energie nur für sich, ohne daß jemand an<strong>der</strong>er<br />

sofort davon profitiert hätte o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erfolg sichtbar gewesen<br />

wäre, wie dies etwa bei ihrer pflegerischen Tätigkeit<br />

schon <strong>der</strong> Fall war.<br />

Langsam än<strong>der</strong>te sich auch ihr Empf<strong>in</strong>den von Leistung.<br />

Schon die längere Beschäftigung mit dem Wunsch nach<br />

Kündigung kostete sie Mühe, was sie wie<strong>der</strong>um sich selbst<br />

als Leistung <strong>in</strong> Rechnung stellte, wenn sie es doch tat. Anna<br />

war zusehends stolz auf sich, wenn sie es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Therapie<br />

wagte, ihre Gedanken auszusprechen. Es wurde möglich für<br />

sie, ihren Leistungsanspruch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeit auf <strong>der</strong> Intensivstation<br />

auf e<strong>in</strong> vertretbares Maß zurückzunehmen. Spitze<br />

Bemerkungen durch die Kollegenschaft blieben natürlich<br />

nicht aus. <strong>Die</strong>se allerd<strong>in</strong>gs nahm sie auch zum Anlaß, um<br />

sich langsam zu zeigen. Sie wog ab, bei wem von den Kollegen<br />

o<strong>der</strong> Bekannten es ihr wichtig erschien, ihre<br />

Verhaltensän<strong>der</strong>ung zu erklären. “Ich kann mich richtig gut<br />

leiden dafür, daß ich zum ersten Mal offiziell gesagt habe,<br />

daß ich gar nicht soviel arbeiten will und eigentlich gar nicht<br />

strebern will, daß ich e<strong>in</strong>fach Angst habe, ke<strong>in</strong>e Anerkennung<br />

zu bekommen.” Daß Anna sich solchen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen<br />

stellte, das bewirkte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge, daß sich das<br />

Verhältnis zu den an<strong>der</strong>en am Arbeitsplatz langsam entspannte<br />

und sie mit manchen aus ihrem Bekanntenkreis auch<br />

gemütliche Stunden mit Plau<strong>der</strong>n verbr<strong>in</strong>gen konnte.<br />

Noch immer beschäftigte sie die Frage <strong>der</strong> Kündigung.<br />

Anna wollte gerne Englisch lernen und e<strong>in</strong> halbes Jahr als<br />

28 EXISTENZANALYSE 2/97<br />

FALLBERICHT<br />

AuPair <strong>in</strong>s Ausland gehen. Sie wollte erstmalig Freude mit<br />

Arbeit verb<strong>in</strong>den. Mit <strong>der</strong> Pflegedienstdirektion vere<strong>in</strong>barte<br />

sie e<strong>in</strong>e Beurlaubung auf diese Zeitspanne, wobei ihr sicherlich<br />

entgegenkam, daß Pflegepersonal im Wiener Raum eher<br />

knapp ist. Sie wäre aber auch zu e<strong>in</strong>er Kündigung bereit<br />

gewesen, wissend, daß sie dann für e<strong>in</strong>e Weile Aufnahmesperre<br />

bei <strong>der</strong> Stadt Wien gehabt hätte. Im Zuge dieser Entscheidungen<br />

brach auch <strong>der</strong> Konflikt mit den Eltern zur<br />

Gänze hervor, die entsetzt waren, daß ihre Tochter e<strong>in</strong>en<br />

sicheren Job auf´s Spiel setzte, bloß wegen ihrer eigenen<br />

Neigungen und Interessen. Nach ihrer Rückkehr wechselte<br />

Anna auf die urologische Abteilung desselben Krankenhauses<br />

und reduzierte ihre Wochenstundenanzahl auf 30.<br />

Im Laufe <strong>der</strong> Therapie än<strong>der</strong>te sich dann auch das Ersche<strong>in</strong>ungsbild<br />

<strong>der</strong> Patient<strong>in</strong>. Ohne daß es jemals <strong>in</strong> realita<br />

Thema gewesen wäre, wurde ihr Kleidungsstil e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er.<br />

Legere und bequeme Kleidung verdrängte zusehends das<br />

modische Outfit von früher. Wenn Anna geschm<strong>in</strong>kt war, so<br />

dezent und zu ihrem Typ passend. Auch ihre Bewegungen<br />

wurden run<strong>der</strong> und weicher, die Gestik wirkte nicht mehr<br />

übertrieben, son<strong>der</strong>n situationsadäquat. Wenn sie lächelte,<br />

dann war dies e<strong>in</strong> Lächeln mit e<strong>in</strong>em belustigten Aufblitzen<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Strahlen <strong>in</strong> den Augen. Ihr anfängliches “Ich<br />

weiß nicht, was ich will!” än<strong>der</strong>te sich h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em “Ich<br />

weiß, was ich will, ich würde gerne schauen, wie ich das<br />

umsetzen kann!”.<br />

<strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit ihrer Berufswahl, mit ihrer<br />

Arbeitssituation an sich und die Tatsache, daß sie auf<br />

diesem Gebiet zu sich stehen konnte, machten sie zuversichtlich,<br />

und sie begann nach und nach auf allen Gebieten ihres<br />

Lebens ihre Me<strong>in</strong>ung zu sagen. Es war nicht mehr notwendig,<br />

mit Leidensmiene rekordverdächtige Arbeit zu verrichten,<br />

Konflikte zu vermeiden, <strong>in</strong>sgeheim anzuklagen und zu<br />

träumen und still drauf zu warten, daß jemand ihre Not bemerke<br />

o<strong>der</strong> gar auf sie Rücksicht nähme. <strong>Die</strong> Beschäftigung<br />

mit dem Thema Arbeit hatte ihr geholfen, zu sich selbst<br />

bewußt <strong>in</strong> Beziehung zu treten und schrittweise verantwortlich<br />

zu handeln.<br />

Zur Zeit kommt Anna noch <strong>in</strong> vier- bis fünfwöchigen<br />

Abständen zu den Therapiestunden. Sie me<strong>in</strong>t, es tue ihr gut,<br />

h<strong>in</strong> und wie<strong>der</strong> noch e<strong>in</strong> Auge auf sich zu haben. Als Wirkelemente<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Therapie schätzte und schätzt sie vor allem<br />

e<strong>in</strong>e konfrontative Vorgangsweise <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er empathischen<br />

Grundatmosphäre, wobei gerade dies zu Beg<strong>in</strong>n für sie sehr<br />

schwierig auszuhalten war; weiters mochte sie beson<strong>der</strong>s das<br />

Hantieren mit magischen Zauberartefakten, die quasi bewirken<br />

können, daß es nur mehr um sie geht, daß ihr Handeln<br />

nicht mehr bestimmt sei durch das Streben nach Anerkennung<br />

und Zuneigung. Und sie konnte sich Zugang zu ihren<br />

Emotionen und Sehnsüchten holen aus <strong>der</strong> Arbeit mit Träumen<br />

und geführten Imag<strong>in</strong>ationen.<br />

Anschrift <strong>der</strong> Verfasser<strong>in</strong>:<br />

Dr. Patricia Freitag<br />

Eduard Sueßgasse 10<br />

A - 1150 Wien

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