Die Person in der Arbeitswelt - GLE-International
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Ich komme zum Aspekt <strong>der</strong> Kultur. Der kle<strong>in</strong>e Zaun auf<br />
diesem Bild, das ist Kultur aus <strong>der</strong> Subsistenz heraus. Er<br />
hat die e<strong>in</strong>e Funktion, nämlich den E<strong>in</strong>gang zum Haus zu<br />
betonen, und nichts an<strong>der</strong>es. Subsistente Kultur ist das<br />
Gestalten mit den Mitteln, die ich habe. Da ist alles vorhanden<br />
im Dorf, was für diesen kle<strong>in</strong>en Zaun gebraucht<br />
wird: das Holz, das Gras, die Verb<strong>in</strong>dungstechnik durch<br />
Bast, <strong>der</strong> Lehm, und all das ist übertragbar. <strong>Die</strong>s gehört<br />
zur Subsistenz dazu: Ich b<strong>in</strong> nicht an e<strong>in</strong>en Ort gebunden,<br />
son<strong>der</strong>n ich kann diese Fähigkeiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en<br />
Umgebung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Zusammenhang neu<br />
def<strong>in</strong>ieren und wie<strong>der</strong> errichten.<br />
Mit diesem letzten Bild des Dorfes Mtowe möchte ich<br />
zusammenfassend noch e<strong>in</strong>mal das Wesen <strong>der</strong> Subsistenz<br />
veranschaulichen.<br />
<strong>Die</strong> Haltung <strong>der</strong> Menschen, die <strong>in</strong> diesem Dorf wohnen,<br />
ist die des Dazugehörens. In diesem Dorf ist Zeit,<br />
die Leute nehmen sich Zeit. Ich b<strong>in</strong> überzeugt, daß gerade<br />
dies <strong>der</strong> Halt ist, <strong>der</strong> diesen Menschen <strong>in</strong>ne ist. Sie<br />
stehen auf dem Boden, <strong>der</strong> sie trägt. Das ist die Geme<strong>in</strong>schaft,<br />
das ist <strong>der</strong> Umstand, daß sie die Zeit gestalten<br />
und je<strong>der</strong>zeit für den an<strong>der</strong>en auch da se<strong>in</strong> können.<br />
Afrika hat vieles überdauert. Wenn e<strong>in</strong> Krieg ausbricht<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Katastrophe stattf<strong>in</strong>det, so brechen diese<br />
Häuser zusammen. Sie werden wie<strong>der</strong> neu aufgebaut.<br />
Es hat alles, das ist im Aion <strong>in</strong>begriffen, e<strong>in</strong>e Kurzlebigkeit.<br />
Alles Materielle <strong>in</strong> Afrika ist im Grunde kurzlebig.<br />
In dieser Kurzlebigkeit werden sie auch unsere<br />
Globalisierungstendenzen immer wie<strong>der</strong> überstehen. Auf<br />
me<strong>in</strong>en Reisen <strong>in</strong> Afrika, wo ich auch viel zu Fuß gehen<br />
mußte, da die Verkehrsverb<strong>in</strong>dungen schlecht o<strong>der</strong><br />
34 EXISTENZANALYSE 2/97<br />
ERFAHRUNGSBERICHT<br />
zusammengebrochen waren, s<strong>in</strong>d mir immer wie<strong>der</strong><br />
Flüchtl<strong>in</strong>gszüge begegnet. Bei aller Tristesse, die diese<br />
Frauen, Männer und K<strong>in</strong><strong>der</strong> umgab, war doch immer<br />
auch e<strong>in</strong>es zu spüren: die Zuversicht, daß sie, wo immer<br />
sie h<strong>in</strong>gehen, nicht untergehen würden. <strong>Die</strong>ses Flüchten<br />
war auch immer das Suchen e<strong>in</strong>es neuen Platzes, das neu<br />
Installieren dessen, was auf dem alten Platz gelernt<br />
worden war, aus dem Wissen heraus, aus sich selbst bestehen<br />
zu können.<br />
Das Eigentümlichste an <strong>der</strong> Subsistenz ist die Gelassenheit,<br />
die dabei entsteht. Im Grunde können diese<br />
Menschen nicht viel verlieren. <strong>Die</strong> Gelassenheit entsteht<br />
dadurch, daß sie nicht viel Angst um Hab und Gut haben<br />
müssen. <strong>Die</strong> Gelassenheit entsteht auch aus dem Vertrauen<br />
und <strong>der</strong> Erfahrung heraus, daß ich das, was ich<br />
habe, mir im Grunde wie<strong>der</strong> neu erarbeiten kann. Es ist<br />
genau diese Gelassenheit, die die größte Leistung <strong>der</strong><br />
Afrikaner hervorgebracht hat. Ich wüßte nicht, wo wir<br />
das <strong>in</strong> Europa geschafft haben, nämlich, sich mit den<br />
Unterdrückern die Macht zu teilen, wie zum Beispiel <strong>in</strong><br />
Südafrika, <strong>in</strong> Uganda, <strong>in</strong> Mocambique, <strong>in</strong> Angola. Es<br />
s<strong>in</strong>d diese Menschen aus den Dörfern, die ja die weit<br />
größte Mehrheit darstellen <strong>in</strong> den genannten Län<strong>der</strong>n, die<br />
diese Gelassenheit haben im Vertrauen darauf, den Unterdrückern<br />
immer wie<strong>der</strong> das ihre entgegen zu stellen.<br />
Das ist vielleicht die Chance, die Afrika hat. Vom<br />
Zeitalter <strong>der</strong> Macht zum Zeitalter des Wissens zu kommen.<br />
Wo das Wissen um sich selbst und se<strong>in</strong> Können<br />
zum Tragen kommt. In diesem Wissen um sich selbst, das<br />
ist die wesentlichste Erfahrung, die mir <strong>in</strong> Afrika immer<br />
wie<strong>der</strong> begegnet ist, entsteht das ganz Persönliche <strong>der</strong><br />
Begegnung. Auch <strong>der</strong> Umgang <strong>der</strong> Menschen mit<br />
Schmerz und Leid ist geprägt von diesem ganz persönlichen<br />
Wissen ums Überleben, e<strong>in</strong> Wissen, das Halt gibt<br />
und trägt.<br />
In diesem S<strong>in</strong>ne möchte ich noch e<strong>in</strong>mal den Bezug<br />
zu Österreich herstellen. In me<strong>in</strong>er Arbeit als Therapeut<br />
stoße ich immer wie<strong>der</strong> auf Menschen, die Angst haben.<br />
Ich spüre im Umgang mit ängstlichen Menschen, daß sie<br />
e<strong>in</strong> großes Potential haben, das nicht entdeckt ist. Ich<br />
denke, dies wäre <strong>der</strong> Auftrag: dazu beizutragen, daß diese<br />
Fähigkeiten an den Tag kommen und den Menschen<br />
bewußt werden.<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Mag. Johannes Rauch<br />
Krankenhaus Stiftung Maria Ebene<br />
Langzeittherapiestation Car<strong>in</strong>a<br />
A - 6800 Feldkirch