Jenseits von Darwin - Christian Blöss
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2. Naturgeschichte - Von Königslisten, Dunklen Zeitaltern und Revolutionen 27<br />
<strong>Darwin</strong>ismus in dem Rätsel der Entstehung des Lebens, als wären alle gegenwärtigen Probleme,<br />
wenn nicht gelöst, so doch wenigstens erklärt.<br />
Die Geschichte einer Nation läßt sich nicht schreiben, indem Ursachen und Motive für die<br />
Ereignisse, die zusammen ihre Geschichte ausmachen, ausschließlich in der <strong>von</strong> der Nation<br />
eingenommenen Region verortet werden. Einflüsse <strong>von</strong> außen Handelsbeziehungen, Kulturaustausch,<br />
Kriege, aber auch Klimaschwankungen, Vulkanausbrüche oder sonstige »grenzüberschreitende«<br />
Faktoren sind heranzuziehen. Und gerade solche Einflußfaktoren machen<br />
oftmals »Geschichte«. Auf die Naturgeschichte übertragen heißt es, zwei verschiedene Aspekte<br />
berücksichtigen zu müssen: den der Reproduktion und den des Übergangs zu einer neuen<br />
Organisation.<br />
Bei der Betrachtung der Reproduktion erhebt sich die Frage nach den Beziehungen der Lebewesen<br />
und der anorganischen Welt untereinander, nach den Beziehungen also, die die Grundlage<br />
des gegenwärtigen dynamischen Gleichgewichts bilden. Das wäre im weitesten Sinne<br />
Ökologie. Das System ist nicht in einen stetigen Fluß der Entwicklung <strong>von</strong> den Uranfängen<br />
bis in eine ferne Zukunft eingebunden, sondern bis zu einem gewissen Grad autonom. Das<br />
System ist vor allem damit beschäftigt, sich zu reproduzieren, und verkraftet keine allzu großen<br />
Variationen der Randbedingungen. Von der vorhergehenden Epoche ist die gegenwärtige<br />
durch einen Einschnitt getrennt, der keiner Notwendigkeit gehorcht hat, sondern sich als<br />
mehr oder weniger zufälliges Ereignis darstellt. Das Spektrum solcher Ereignisse ist breit: Es<br />
kann eine extraterrestrische Ursache haben, etwa ein großer Komet. Für solche Vorfälle gibt<br />
es etliche Indizien, wie die Überreste großer Einschlagskrater oder globale Staubschichten<br />
nichtirdischen Ursprungs. Auch terrestrische Ursachen kommen in Frage, wie das Auseinanderdriften<br />
<strong>von</strong> Platten der Erdkruste mit einhergehender Trennung <strong>von</strong> zusammenhängenden<br />
Ökosystemen, bis hin zum Aussterben einer Art, die für den Erhalt des Ökosystems <strong>von</strong> entscheidender<br />
Bedeutung ist. Der gegenwärtige Zustand ließe sich nicht mehr eindeutig aus der<br />
Vergangenheit erklären, schon gar nicht aus den Zuständen, wie sie vor etlichen Milliarden<br />
Jahren auf der Erde in Anwesenheit der ersten Einzeller bestanden haben mögen.<br />
In einem solchen Modell bedeutete Evolution die Geschichte gekonnter und mißlungener<br />
Adaptionen des Ökosystems an einschneidend neue Randbedingungen. Das Augenmerk liegt<br />
nicht auf der einzelnen Art, sondern auf dem Gesamtzoo. Ein zusätzlicher Aspekt gewinnt<br />
dann an Bedeutung, der bislang überhaupt nicht beachtet wurde und auch gar nicht jedenfalls<br />
nicht unter Gültigkeit des »molekularbiologischen Dogmas« (vgl. das Stichwort im »Abc«)<br />
ernst genommen werden konnte. Inwieweit nämlich ist das gesamte Ökosystem oder auch nur<br />
die einzelne Art ein »lernendes System«? Diese Annahme konsequent zu Ende gedacht, führte<br />
zur weitergehenden Hypothese, daß die Arten ein genetisches Spielmaterial zur Verfügung<br />
haben, in dem eine Auswahl an Antworten für mögliche, noch zu erwartende Randbedingungen<br />
bereits vorhanden sind. Das mag absurd klingen, aber die Befunde der Molekularbiologie<br />
legen die 36sen Schluß nahe. Die Ebene der Reproduktion des Systems unter den jeweiligen<br />
Bedingungen führt also auf die Frage nach der Lernfähigkeit des Systems und letztlich auch<br />
auf die Frage, wie so ein System überhaupt entstehen konnte.<br />
Antworten erwartet man auch <strong>von</strong> der Theorie der Entstehung dissipativer Strukturen und der<br />
KatastrophenTheorie. Alle Antworten, die <strong>von</strong> hier kommen könnten, besitzen ein gemeinsames<br />
Merkmal: Die Kopplung chemischer und physikalischer Wechselwirkungen in einem<br />
System führt unter bestimmten Bedingungen zwar zu erstaunlichen raumzeitlichen Ordnungen,<br />
aber die »Freiheit« dieses Systems ist beschränkt, und der morphologische Abstand zu<br />
dem nächsten stabilen Fließgleichgewicht kann sehr groß werden, was beispielhaft <strong>von</strong> sogenannten<br />
»chemischen Uhren« vorgeführt wird, Oszillationen, in denen verschiedene