Jenseits von Darwin - Christian Blöss
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74 <strong>Jenseits</strong> <strong>von</strong> <strong>Darwin</strong><br />
die bereits existierenden durch ein »link«, das dem Übergang den Geruch des Abrupten<br />
nimmt und ihn sanft und stetig macht.<br />
Die »Große Kette der Lebewesen« war bis <strong>Darwin</strong> ein Schlagwort zur Betonung der Vollständigkeit<br />
des in einer jeweiligen Epoche präsenten und <strong>von</strong> Gott geschaffenen Zoos: Gott<br />
hatte in seiner Vollkommenheit keine denkmögliche Spielart unter den Lebewesen ausgelassen.<br />
Katastrophen mußten radikal sein, denn bei einem Eingriff Gottes ging es ja nicht um<br />
kleinere Korrekturen, sondern um die völlige Neugestaltung <strong>von</strong> Flora und Fauna. <strong>Darwin</strong><br />
hatte diese »Kette« umfassend verzeitlicht, und wenn die Vorstellung einer Kette sinnvoll<br />
sein sollte, dann durfte es auch jetzt keine Unterbrechungen geben.<br />
Die noch junge punktualistische Theorie der Evolution akzeptiert zwar eine Artveränderung<br />
in einem im erdgeschichtlichen Sinne abrupten Sprung, bedient sich daher dennoch ähnlich<br />
ihrer gradualistischen Muster einer knallharten Hypothese, die im Gegensatz zur »missing<br />
link«Hypothese <strong>von</strong> vornherein unbeweisbar ist (und es womöglich auch sein soll?). Diese<br />
Hypothese baut auf die Absonderung einer kleinen Population womöglich nur eines Paares<br />
(Stanley 1983, 159; Gould/Eldredge 1977, 115; dies. 1972; Mayr 1963; Gould 1980) , die<br />
dann einer Veränderung unterliegt, sich ungetrübt fortpflanzt, um später in den ursprünglichen<br />
Lebensraum einzubrechen und die unveränderte Art zu verdrängen. Diese These konzentriert<br />
sich auf den Vorgang der Abtrennung einer kleinen Population, und sie tut es aus<br />
gutem Grund: »Eine neue Chromosomenordnung wird in der Regel nur in einer kleinen Population<br />
fixiert, die in der Inzucht rasch für ihre ausgewogene Verankerung sorgt.« (Stanley<br />
1983,154)<br />
Man muß sich aber darüber im klaren sein, daß man es hier mit einer Arbeitshypothese zu tun<br />
hat, die erklären soll, warum eine Art lange stabil ist, um dann irgendwann plötzlich <strong>von</strong> einer<br />
neuen Variante abgelöst zu werden. Die punktualistische Theorie behauptet also, daß die<br />
»missing links« zwar existiert hätten, aber daß sie nicht gefunden werden können, weil ihre<br />
Population so klein gewesen sein muß, daß auf ihre Konservierung und spätere Ausgrabung<br />
dann nicht zu hoffen ist (vgl. Vogel 1983, 221).<br />
Die punktualistische Theorie setzt auf das im allgemeinen unwahrscheinliche Zusammentreffen<br />
<strong>von</strong> Abtrennung einer fortpflanzungsfähigen und Inzucht treibenden Population mit einer<br />
Beeinflussung des Erbmaterials. Der Einfluß der Umgebung ist erst in zweiter Hinsicht für<br />
die Frage <strong>von</strong> Bedeutung, ob etwa die neue Artvarietät einen Selektionsvorteil gegenüber ihrem<br />
Stamm hat oder nicht. Geht man auf die Fossilienfunde zurück, so bleiben nur karge Informationen<br />
übrig. Findet man die Abfolge <strong>von</strong> Art und Artvarietät in einer Schicht, so bildet<br />
die punktualistische Theorie tatsächlich einen vernünftigen Erklärungsansatz. Ganz anders<br />
aber sieht es aus, wenn die Art mit der Schicht selber ausstirbt und man neue Artvarietäten in<br />
der darüberliegenden Schicht findet. Hier macht die Beschränkung auf die Frage, ob inzestuöse<br />
Fortpflanzungsbedingungen mit einer sowieso äußerst seltenen Änderung des Erbmaterials<br />
zusammentreffen, keinen Sinn mehr.<br />
Der Blick hat sich auf drastische Änderungen der Lebensbedingungen zu konzentrieren, die<br />
entweder für den Eingriff in das Erbmaterial verantwortlich sind oder was wahrscheinlicher<br />
ist lediglich den Übergang zum Ausdruck bereits vorhandener »GenBatterien« initiieren.<br />
Während in »ruhigen Zeiten« inzestuöse Fortpflanzungsbedingungen wahrscheinlich nur<br />
durch Abtrennung einer kleinen Population zustandekommen, beantwortet sich die Frage<br />
nach diesen Bedingungen für »bewegte Zeiten« <strong>von</strong> allein: Drastische oder gar katastrophische<br />
Einwirkungen auf die Lebenssphären reduzieren die vorhandene Population im allgemeinen<br />
sehr stark. Inzestuöse Fortpflanzungsbedingungen als wichtige Grundlage für die Fixierung<br />
eines veränderten GenMaterials wären durch die Entdeckung <strong>von</strong> Indizien für Kata-