Jenseits von Darwin - Christian Blöss
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68 <strong>Jenseits</strong> <strong>von</strong> <strong>Darwin</strong><br />
an erster Stelle für ihre Erhaltung aus sich heraus einer Erklärung bedarf. Ordnung wird nicht<br />
nur <strong>von</strong> äußeren Einflüssen unterhalten und reagiert auf deren Änderung nicht wie ein Pferd<br />
auf die Kandare. Eine Ordnung ist ein ganz spezieller Zustand, der durch die Wechselwirkung<br />
der Systembestandteile aufrechterhalten wird und gegen Störungen stabil ist. Ordnung<br />
kann auch nicht unter allen Umständen entstehen, die Elemente des Systems müssen spezielle<br />
Eigenschaften und Verhaltensweisen mit sich bringen oder, wenn es geht, dazu »gezwungen«<br />
werden.<br />
Für die darwinistisch orientierte Naturgeschichte ist der Bestand an Lebewesen einer Epoche<br />
wie etwa des Tertiär »zufällig«. Hätten zuvor nur lokal etwas andere Lebensbedingungen geherrscht,<br />
dann wäre dort zwangsläufig aufgrund der selektiven Wirkung der natürlichen<br />
Zuchtwahl auf Dauer auch eine etwas abgewandelte Zusammensetzung <strong>von</strong> Flora und Fauna<br />
entstanden. Die lokale »Störung« hätte sich im Laufe der Zeit ausgebreitet und in eine sanfte<br />
Abwandlung der gesamten Biosphäre gemündet. In diesem Szenario erkennt man deutlich die<br />
Rolle des Zufalls im <strong>Darwin</strong>ismus. Was entsteht, ist völlig egal, denn es geht stets ein Anpassungsprozeß<br />
durch die Natur, der durch die stetige Variabilität der Arten ermöglicht und <strong>von</strong><br />
der natürlichen Zuchtwahl erzwungen wird.<br />
Eine katastrophisch orientierte Naturgeschichte würde aber in der Biosphäre des Teritär<br />
nichts Zufälliges im darwinistischen Sinne erkennen. Überspitzt formuliert sollte die Rekonstruktion<br />
aller Lebewesen aus der Kenntnis nur einer Art möglich sein. Prinzipiell ist das<br />
nicht zu viel verlangt. Bereits Cuvier rekonstruierte ganze Skelette aus der Ansicht nur weniger<br />
Knochen. Er konnte es, weil der funktionelle Zusammenhang eines tierischen Organismus<br />
bekannt war. So läßt sich <strong>von</strong> der Struktur eines einzigen gefundenen Zahnes auf das<br />
Verdauungssystem des Tieres schließen, auf sein Jägerverhalten und damit schon auf die<br />
Grundstruktur seines Skelettes. Nicht anders verfährt die Ökologie, die die gegenseitigen Abhängigkeiten<br />
und ursächlichen Beziehungen aller Komponenten eines Systems unter dem Aspekt<br />
der Funktionseinheit untersucht (Odum 1980, 11). Der Vergleich zwischen Einzelorganismus<br />
und Ökosphäre macht auch deutlich, daß die Vorgabe <strong>von</strong> gewissen Teilen des Systems<br />
für den Rest keine große Freiheit mehr läßt. Spätestens das letzte »Puzzleteil« ist grundsätzlich<br />
determiniert. Welches Teil wir aber auch aus einem System herausnehmen, es ist immer<br />
das »letzte«, es ist zur Bildung der Funktionseinheit unerläßlich und kann damit nur in<br />
Grenzen zum Spielmaterial der natürlichen Zuchtwahl werden.<br />
Dieses Bild sollte man natürlich nicht überstrapazieren. Das Ökosystem der Erde weist auch<br />
Subsysteme auf, die nur schwach gekoppelt und einzeln in vielen Eigenschaften variabel<br />
sind, ohne die Reproduktion der anderen Subsysteme zu beeinträchtigen. Auch Fluktuationen<br />
sind anders zu interpretieren als zum Beispiel bei den im Labor hergestellten dissipativen<br />
Strukturen. Hier sind Schwankungen zeitlich gar nicht mehr aufzulösen. Ordnungssprünge<br />
treten schlagartig auf, die Zwischenstadien in derartigen Übergängen sind chaotisch und<br />
scheinbar ohne jeden Sinn. Die in den Fossilurkunden dokumentierten »Saltationen« sind<br />
letztlich kaum als schlagartig zu interpretieren, auf jeden Fall nicht, wenn parallele Entwicklungssprünge<br />
betrachtet werden, die nicht alle »gleichzeitig« geschehen sind. Das Ökosystem<br />
Erde ist flexibler als der Inhalt eines Reagenzglases, wo die Phasenübergänge minuziös durch<br />
das Übertreten <strong>von</strong> kritischen Werten der Kontrollparameter eingestellt werden können. Dennoch<br />
ist für eine katastrophisch orientierte Naturgeschichte der Zufall ein makroskopischer<br />
Einflußfaktor: Er hat auf mikroskopischer oder lokaler Ebene keine Chance zum ungestörten<br />
Manipulieren, da der Funktionszusammenhang entweder erhalten bleibt oder einen neuen Zustand<br />
anstrebt, für dessen morphologische Nachbarschaft zum vorausgegangenen Zustand es<br />
keine Gewähr gibt. Der Zufall wirkt auf der Ebene der Fluktuationen, die in mancher Hinsicht<br />
ohne Folgen groß werden können, in mancher Hinsicht aber schon bei der geringsten