Jenseits von Darwin - Christian Blöss
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86 <strong>Jenseits</strong> <strong>von</strong> <strong>Darwin</strong><br />
senschaft rund 40 Jahre beschäftigt <strong>von</strong> 1912 bis 1953 und vor allem die Interpretation anderer<br />
Funde auf bedauerliche Weise beeinträchtigt.<br />
Im Verlauf des Jahres 1912 wurden in einer Kiesgrube nahe Piltdown Common in England<br />
Schädelfragmente gefunden und einer Schicht zugeordnet, die für bedeutend älter gehalten<br />
wurde als jene, denen der Neandertaler und der Java Mensch zugehörten. Da der rekonstruierte<br />
Schädel ein relativ großes Hirnvolumen anzeigte, war man geneigt, nunmehr den »PiltdownMenschen«<br />
als missing link und die anderen bekannten Formen als abgeirrte und dem<br />
Untergang geweihte Triebe der Menschheitsentwicklung zu betrachten. Bereits hier begann<br />
sich das später sich noch zuspitzende Problem der Paläoanthropologie abzuzeichnen: Die<br />
Kette der graduellen Varietäten ist in den Schichten nicht zu finden. Was man findet, existiert<br />
für lange Zeit zum Teil Millionen <strong>von</strong> Jahre ohne relevante morphologische Änderungen.<br />
Zudem stellte sich immer wieder heraus, daß verschiedene Arten, die man in eine zeitliche<br />
Abfolge gesetzt hatte, doch in der gleichen Schicht anzutreffen sind. Die Kritik am PiltdownFund<br />
blieb aber nicht aus. Sie machte sich an der »Aufpropfung« eines relativ weit entwickelten<br />
großen Schädels auf einen durchaus affenähnlichen Kiefer fest. Diese Kombination<br />
eigentlich zu schön, um wahr sein zu können wurde i.a. als zu gewaltsam abgelehnt. Trotz<br />
aller Kontroversen nahmen die PiltdownFunde einen wichtigen Platz innerhalb der Paläoanthropologie<br />
ein, an dem spätere Funde gemessen wurden. Dieser »PiltdownEfekt« setzte<br />
den Standard einer alten und deutlich zwischen Affen und Menschen stehenden Ahnenform.<br />
Ein unerwartetes Ende für die PiltdownFunde kamen mit neuen Altersbestimmungen, die wegen<br />
der Diskrepanz zu anderen Funden aus derselben Schicht angeregt worden waren. Mithilfe<br />
<strong>von</strong> Fluortests wurde enthüllt, daß Kiefer und Schädel <strong>von</strong> kürzlich Verstorbenen stammen<br />
mußten und chemisch nachbehandelt worden waren, um ein hohes Alter vorzutäuschen. Auch<br />
die Zähne waren mechanisch manipuliert worden, um sie anzupassen. Nun wurde auch<br />
verständlich, warum gerade die charakteristischsten Schädelteile wie Kinnpartie und Kiefergelenk<br />
fehlten, da diese eine viel sicherere Diagnose über das Entwicklungsstadium ermöglicht<br />
hätten als die eigentlichen Funde. Diese Enthüllungen erregten öffentliches Aufsehein,<br />
die sich in einem Antrag an das »House of Commons« widerspiegelte, die »kriecherische Unterwürfigkeit«<br />
zu verurteilen, mit der dem Publikum vorgeschwindelt wurde, man hätte das<br />
sogenannte missing link gefunden. (Reader 1982, 89)<br />
Die allgemeine Erwartungshaltung, der die auf Täuschung angelegte Präsentation des PiltdownFundes<br />
gewissermaßen zugearbeitet hatte, spielte eine nicht minder große Rolle bei der<br />
Aufnahme einer Entdeckung, die der in Südafrika lebende Professor für Medizin Raymond<br />
Dart unter abenteuerlichen Umständen gemacht hatte. Ihm gelang die Präparierung eines<br />
durch eine Steinsprengung zu Tage gekommenen erstaunlich vollständigen Schädels mit Kieferpartie,<br />
<strong>von</strong> dem er sich die »möglicherweise ultimative Antwort in der (...) Erforschung<br />
der menschlichen Evolution« versprach. (Reader 1982, 96) Aus diesen Merkmalen rekonstruierte<br />
er ein Wesen, das aufrecht gegangen war, sich mit den Händen verteidigen und Farben<br />
unterscheiden konnte, das die Bedeutung <strong>von</strong> Tönen kannte und bereits weit auf dem Wege<br />
zur Sprechfertigkeit fortgeschritten war Angesichts dieser Funde seien Java und Piltdown-<br />
Mensch weit <strong>von</strong> jeder hominiden Entwicklungslinie anzusiedeln. Er gab seinem Fund den<br />
Namen Australopithecus africanus und schickte einen ersten Bericht an die Fachzeitschrift<br />
»Nature«. Während die Rezensenten noch über Darts Bericht saßen, schlagzeilten bereits die<br />
Zeitschriften in aller Welt: »Missing Link 5.000.000 Jahre alt«, »Affenmensch aus Afrika<br />
hatte gesunden Menschenverstand«, »Die Geburt der Menschheit«, »Missing Link 5000.000<br />
Jahre alt« usw.