03.10.2013 Aufrufe

Jenseits von Darwin - Christian Blöss

Jenseits von Darwin - Christian Blöss

Jenseits von Darwin - Christian Blöss

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

6. Die Ordnung der Natur - Vom schwangeren Stammbaum zum Fliessgleichgewicht 55<br />

wichten, die nicht stetig ineinander übergehen können, sondern unter Auflösung ihrer Struktur<br />

mit einem chaotischen Zw!schenstadium in eine neue, qualitativ andere Ordnung übergehen.<br />

Mit anderen Worten: Der Biosynthesezyklus, der die Reproduktion einer Art bestimmt,<br />

könnte nur »schlagartig« in einen neuen qualitativen Zustand übergehen. Eine Art würde<br />

nicht über unzählige Zwischenstadien <strong>von</strong> einer Form in die nächste übergehen, sondern »sofort«,<br />

der Vogel würde tatsächlich, wie Otto Schindewolf es einmal Provokativ ausgemalt<br />

hat, fertig aus dem Reptilienei ausschlüpfen.<br />

Bleiben wir aber noch auf der Stufe des Reagenzglases. Peter T. Saunders findet sehr lakonische<br />

Worte für das Phänomen der Strukturbildung. Es gebe einen relativ einfachen, aber dennoch<br />

tragfähigen Weg, Strukturen zu erhalten: »Wir müssen lediglich die den Prozeß beschreibenden<br />

Differentialgleichungen so arrangieren, daß sie mit eindeutigen Randbedingungen<br />

verträglich sind und mit den entsprechenden Anfangsbedingungen beladen werden können.<br />

Wenn wir den Prozeß starten, wird die Randbedingung und das heißt: die Form sich<br />

einstellen.« Aber: »Egal, wie viele Differentialgleichungen wir zur Beschreibung des Systems<br />

auswählen, die Anzahl der Strukturen, die wir auf diesem Wege erhalten, ist bemerkenswert<br />

klein.« (1984, 259) Dieses Modellieren <strong>von</strong> Systemen mit Hilfe <strong>von</strong> Differentialgleichungen<br />

ist der Gegenstand der »KatastrophenTheorie«, auf die wir noch zu sprechen kommen.<br />

Gehen wir für ein etwas weniger spektakuläres Ereignis als den »ersten Vogel« in die Gegenwart<br />

und betrachten ein reales und gut bekanntes Beispiel für eine raumzeitliche Strukturbildung:<br />

den Schleimpilz Dietyostelium, der auch das »kleine Abc« eröffnet hat. Dieser Schleimpilz<br />

bildet sich unter bestimmten Voraussetzungen als Kolonie eigentlich selbständiger<br />

Amöben. Diese Voraussetzung liegt in einer Nährstoffknappheit für die zuvor individuell<br />

existierenden Amöben. Solche Amöben, deren Nährstoff in ihrer unmittelbaren Umgebung<br />

ausgeht, senden in zunehmendem Maße einen Stoff aus, das zyklische Adenosinmonophosphat<br />

(cAMP). Amöben in der Umgebung werden dadurch selber angeregt, diesen Stoff auszusenden,<br />

so daß es letztlich zur »induzierten Emission« eines cAMPMusters kommt, an dem<br />

sich die Amöben orientieren können und sämtlichst mit Hilfe <strong>von</strong> Pseudopoden zum Zentrum<br />

dieses Konzentrationsmusters gelangen, wo sie einen Schaft und einen kugelförmigen Sporenträger<br />

ausbilden, der neue Zellen aus der an Nährstoff verarmten Zone herausschickt.<br />

Bei dieser so gelungen erscheinenden Form des »Überlebenskampfes« kolonisierter Einzeller<br />

wäre die Frage, in welchen Evolutionsschritten die Amöben es fertiggebracht haben, diese<br />

besondere Form der Überlebensstrategie herauszubilden, falsch gestellt. Was die Ausbildung<br />

des Informationsnetzes angeht, kann man sagen, daß es die unweigerliche Folge bestehender<br />

bzw. entstehender Randbedingungen ist. Daß das geschieht, ist nicht die Folge einer jederzeitigen<br />

intelligenten Lenkung, sondern entsteht »<strong>von</strong> alleine« aus einem sich abzeichnenden<br />

anfänglichen eAMPKonzentrationsmuster.<br />

Der Schleimpilz Dictyostelium ist im Kampf ums Überleben erfolgreich, und er ist in diesen<br />

»Kampf« sicherlich schlagartig, also ohne Zwischenvarietäten eingetreten. Vorsichtig argumentiert<br />

wäre dieses schlagartige Auftreten als das Besetzen einer ökologischen Nische zu<br />

interpretieren: Er hat das unwahrscheinliche Glück gehabt, daß diese qualitativ neue Form<br />

der Reproduktionssicherung auch <strong>von</strong> der Natur hingenommen wurde. Weniger vorsichtig argumentiert,<br />

erscheint der Schleimpilz nur als eines der simpelsten Bei68spiele, wie neue Arten<br />

entstehen: schlagartig, ohne Zwischenvarietäten und den ökologischen Bedingungen<br />

weitgehendst angepaßt. Nur: Wie die Formation der Gene unter vorheriger Inkorporation der<br />

notwendigen Umweltinformationen stattgefunden hat (denn die neue Art muß »passen«), darüber<br />

könnten wir nur Spekulationen anstellen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!