Jenseits von Darwin - Christian Blöss
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34 <strong>Jenseits</strong> <strong>von</strong> <strong>Darwin</strong><br />
sehen noch anfasssen kann, so wie bei der Frage, ob es noch einen zehnten Planeten im Sonnensystem<br />
gibt auf den tatsächlich einige, aber eben sehr schwache Indizien hinweisen , es<br />
geht um ganz handfeste und sichtbare Indizien. Offenbar ist es eine Frage der Einstellung, gemäß<br />
einem alten Geologenspruch: »I wouldn't have seen it if I hadn´t believed it« (nach Kerr<br />
1983, 36).<br />
Derek V. Ager hat für die Stratigraphie ebenfalls zwei unterschiedliche Aspekte aufgezählt,<br />
unter der die Schichtenfolge interpretiert werden kann: Entweder haben sich die Schichten irgendwie<br />
gebildet, oder sie haben sich im Laufe der Zeit akkumuliert. Das klingt im ersten<br />
Moment wie eine Tautologie, aber Ager meint nur, daß die Schichtenbildung entweder eine<br />
Art Uhr darstellt, bei der man jeden Millimeter einem Jahrtausend gleichsetzen darf (grob gesprochen),<br />
oder die entstandene Schicht ist ein Gongschlag, nach dem wieder eine Stunde<br />
vergeht, in der nichts passiert hinsichtlich der Schichtenbildung: »Mir stellt sich die Gesteinsüberlieferung<br />
in ihrer Akkumulation derart episodisch und, in dem was sie bietet, so unkomplett<br />
dar, daß es weltweit Zeiträume gegeben haben muß, während denen keine Sedimente<br />
entstanden sein können.« Es seien nicht Leitfossilien, die die Stratigraphie bestimmen,<br />
sondern Katastrophen. Am Beispiel <strong>von</strong> genau untersuchten Sedimenten bei Ferques in<br />
Frankreich aus dem späten De<strong>von</strong> versucht Ager seine Ansicht zu verdeutlichen: »Jede Lage<br />
ist in sich leidlich stimmig, sowohl unter gesteinskundlichem Aspekt als auch im Hinblick<br />
auf die vorgefundenen Fossilien, und ich vermute, daß jede <strong>von</strong> ihnen eine Kombination <strong>von</strong><br />
ökologischen und geophysikalischen Faktoren repräsentiert, die, für eine sehr kurze Zeit, sowohl<br />
die Akkumulation als auch die Erhaltung <strong>von</strong> Sedimenten und Organismen erlaubte. Jede<br />
Lage, aber auch jede Ansammlung dort repräsentiert letztlich eine kleine Katastrophe, die<br />
zu ihrer Erhaltung führte, und sie sind <strong>von</strong>einander durch weitere Katastrophen getrennt, über<br />
die wir allerdings nichts wissen. ( ... ) Mit anderen Worten, wir haben es ganz offensichtlich<br />
mit einer ganzen Serie kleiner Katastrophen zu tun, gefolgt <strong>von</strong> einer größeren, dann <strong>von</strong> einer<br />
noch größeren und schließlich <strong>von</strong> einer ganz großen Katastrophe.« (Ager 1984, 92 ff.)<br />
Vielleicht ist es kein Zufall, daß die Altertumswissenschaft mit der Ausgrabung zweier unter<br />
katastrophischen Umständen konservierter Städte begann. (Perverserweise erläuterte Lyell<br />
seine Vorstellung <strong>von</strong> Aktualismus gerade an diesem Beispiel.) Die Aufmerksamkeit wurde<br />
durch die Massierung der Funde über die Schwelle der Gleichgültigkeit getrieben. Was man<br />
ausgrub, war gleichsam die Fotografie eines Moments, und mehr war auch nicht zu erwarten<br />
gewesen. Man fand über Pompeji und Herkulaneum keine Stadt mit einer graduell abweichenden<br />
Kultur oder etwas höheren Häusern.<br />
Für die Stratigraphie der Prähistorie unterstellt Ager ebenfalls, daß eine Konservierung <strong>von</strong><br />
Lebewesen unsere einzigen Indizien für die Geschichte des Lebens auf der Erde ebenfalls<br />
nur episodisch, und das heißt unter episodischen katastrophischen Bedingungen, stattfindet.<br />
Diese Hypothese wäre ohne Konsequenzen, wenn die zeitlich aufeinanderfolgenden schlaglichtartigen<br />
Fotografien das zeigen würden, was seit <strong>Darwin</strong> das Credo der Evolutionstheorie<br />
ist: die graduelle Variation der Lebewesen <strong>von</strong> der Urzelle zu dem heutigen ökologischen<br />
System. Auch in einem flackernden Licht lassen sich kontinuierliche Bewegungen erahnen,<br />
erfassen und letztlich rekonstruieren. Aber: »Die Biostratigraphen wissen nur zu genau, daß<br />
sich Arten innerhalb ihres stratigraphischen Ranges im allgemeinen nicht ändern.« (Gould<br />
1984a, 27) Diese Konstanz ist das eigentliche Ärgernis des <strong>Darwin</strong>ismus. Mit den Katastrophen<br />
könnte er sogar recht gut leben, denn die Annahme einer vorwiegend unter katastrophischen<br />
Bedingungen zustande kommenden Fossilisation würde mit einem Schlage die Lückenhaftigkeit<br />
der Fossilurkunden erklären. Katastrophen sind selten, also ist die Fundlage<br />
auch bruchstückhaft.