36 <strong>Jenseits</strong> <strong>von</strong> <strong>Darwin</strong>
4. Die Epochen der Natur - Vom göttlichen Tranchiermesser zum hustenden Schmetterling 37 4. DIE EPOCHEN DER NATUR - VOM GÖTTLICHEN TRANCHIERMESSER ZUM HUSTENDEN SCHMETTERLING Die Gewißheit der vordarwinschen Ära: Gott trennte die Geschichte durch Katastrophen in Epochen • Die Bescheidenheit der modernen Wissenschaft: Wenn in China ein Schmetterling hustet, gibt es in Mitteleuropa einen Sturm • Cuviers Katastrophismus: die Einsicht, daß die gegenwärtig beobachtbaren Umweltbedingungen die ausgegrabenen Funde nicht erklären können • Moderner Katastrophismus: ein »Schlag ins Gesicht der Erdgeschichte« Eingangs des Buches habe ich behauptet, daß <strong>Darwin</strong>s wesentliche Leistung darin bestand, die Frage nach zureichenden, ausschließlich innerweltlichen Ursachen für die Evolution der Lebewesen zu legitimieren. Nicht seine Antwort auf diese Frage ist für uns <strong>von</strong> Bedeutung, sondern daß es selbstverständlich geworden ist, diese Frage diskutieren zu können, ohne als Häretiker abgestempelt zu werden (was manchen sicherlich Lust bereiten würde). <strong>Darwin</strong> konnte sein Buch über die »Entstehung der Arten« allerdings nicht ohne ein plumpes Versprechen beschließen: daß die <strong>von</strong> ihm erkannte innerweltliche Ursache der Evolution die »natürliche Zuchtwahl« für eine stetige Vervollkommnung der Lebewesen sorgen wird. Diese Bemerkung über den »unabweislichen Fortschritt« verrät etwas über die Krisis, die der Übergang <strong>von</strong> außer zu innerweltlicher Kausalität ausgelöst hat. Die vordarwinschen Autoren über die Naturgeschichte haben etwas gemein, was den nachdarwinschen Autoren in zunehmendem Maße abhanden gekommen ist: Sie ließen sich <strong>von</strong> der Natur faszinieren. Alle wissenschaftlichen Traktate und Hymnen mündeten aber immer wieder in der Feststellung, daß nur ein übernatürliches Wesen diese wunderbare Ordnung habe erschaffen können. Und machen wir uns nichts vor: Diese Ordnung, selbst wenn wir für sie nur noch nach innerweltlichen Ursachen suchen, bleibt »wunderbar«. <strong>Darwin</strong> hat in diesem Zusammenhang die Frage gestellt, ob die Bibelanhänger denn tatsächlich glaubten, »daß in unzähligen Perioden der Geschichte unserer Erde gewisse elementare Atome gleichsam kommandiert worden seien, sich plötzlich zu lebenden Geweben zusammenzuschließen« (1981, 673). Die so angesprochenen Fundamentalisten mußten auf diese Frage mit »ja« antworten, denn sie konnten bei bestem Willen in den Eingeweiden der Erde keine stetige Abfolge der Geschlechterketten sehen, die einen nur anfänglichen göttlichen Impuls für die weitere Entwicklung und damit auch den Verzicht auf weitere Eingriffe gezeigt hätte. Sie mußten schon deswegen »ja« sagen, weil die gegenwärtige Gestalt der Erde nicht zufällig sein durfte, denn sie war für die so spät in die Geschichte getretenen Menschen eingerichtet worden. Die in der Erde gesichteten Epochen konnten also gar nicht <strong>von</strong> ihnen zusammenhanglos interpretiert werden, denn sie zielten auf die allmähliche Vorbereitung einer für den Menschen zuträglichen Ökosphäre ab. <strong>Darwin</strong> selber wäre wahrscheinlich gottlos und fortschrittsfeindlich zugleich geworden, wenn er die gut begründete Epochenvorstellung beibehalten hätte, aber den teleologischen Zusammenhang der vergangenen Epochen mit der gegenwärtigen Epoche schlicht in Abrede gestellt hätte. Das hat er natürlich nicht getan, sondern mit Hilfe des Vehikels gradueller Veränderungen die Gegenwart und damit auch die einer Vervollkommnung zustrebende Zukunft an die beliebig weit zurückliegende Vergangenheit angebunden. Wer <strong>Darwin</strong>s »Entstehung der Arten« kennt, dem muß Cuviers »Umwälzungen der Erdrinde« als eine Replik erscheinen, denn Cuvier diskutierte alle Hypothesen, mit denen <strong>Darwin</strong> arbeitete und verwarf sie aus guten Gründen. Allein, es wäre nur umgekehrt möglich gewesen,