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Jenseits von Darwin - Christian Blöss

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40 <strong>Jenseits</strong> <strong>von</strong> <strong>Darwin</strong><br />

in den irdischen Zoo einzugreifen: Arten vollständig auszurotten, indem auch noch das letzte<br />

Exemplar in einer noch so tief gelegenen Höhle <strong>von</strong> Gottes Hand erreicht und getötet wurde.<br />

Katastrophen waren eben nicht »blind«. Mit diesem Eingriff war das irdische Ökosystem<br />

destabilisiert, denn ohne diese ausgerotteten Arten konnte der Rest auf sich allein gestellt<br />

nicht überleben. Gott schuf also neue Arten und variierte die Bestehenden womöglich noch<br />

etwas, um alles wieder zueinander passend zu machen.<br />

Während die Zeugen der Erdgeschichte hinsichtlich der erlittenen Einwirkungen einigermaßen<br />

angemessen interpretiert wurden, waren die Vorstellungen über die »letzte Ursache« und<br />

die mit ihr verbundenen Absichten unhaltbar. <strong>Darwin</strong> warf den Schöpfer aus dem irdischen<br />

Garten hinaus, aber mochte auf das teleologische Beiwerk nicht verzichten. Die Natur schafft<br />

den Fortschritt zum Besseren auch ganz <strong>von</strong> allein.<br />

<strong>Darwin</strong> sagte allerdings nicht, daß der Ordnung ein Sinn mitgegeben worden sei, und nur damit<br />

hat er die eigentliche »Moderne« in der Naturgeschichte eingeleitet. Moderne »Systemtheorie«<br />

bedeutet: Wir kennen im Bestfall die Parameter, die »Ordnung« variieren, wir können<br />

auch Ordnungen im Kleinen gezielt schaffen. Wir wissen auch, daß der Grad der Komplexität<br />

einer Ordnung die Möglichkeit reduziert, die Gestalt der Ordnung beliebig <strong>von</strong> ihrem<br />

Referenzzustand aus zu variieren oder zu »dehnen«. Das bedeutet, daß wir Übergänge <strong>von</strong> einer<br />

Ordnung zur nächsten nicht generell auf großangelegte artifizielle Manöver zurückführen<br />

können, sondern damit rechnen müssen, daß die Ursache auch ein an sich unwesentlicher<br />

Vorgang gewesen ist.<br />

Solche Einsicht wäre für die vordarwinsche Naturgeschichte zu einer Bankrotterklärung geraten.<br />

Die Abfolge der Epochen war zielgerecht, nämlich auf die Vorbereitung einer für den<br />

Menschen zuträglichen Erdgestalt hin angelegt. Moderne Systemtheorie wäre eine Katastrophe<br />

gewesen. Womit wir bei einem entscheidenden Stichwort angelangt sind. Für die vordarwinsche<br />

Naturgeschichte waren Katastrophen Marginalien in der Abfolge göttlicher Eingriffe<br />

zur wohlgefälligen Gestaltung der Erde, für die nachdarwinsche Naturgeschichte sind Katastrophen<br />

hingegen ein »Schlag ins Gesicht«, eine Katastrophe also, denn sie unterminieren<br />

die Bemühung, »die irdischhistorischen Voraussetzungen für den Eintritt eines erdgeschichtlichen<br />

Ereignisses, für das Eigenbild eines Stückes Erdgeschichte aufzuzeigen«. (Hölder<br />

1962, 358) Katastrophen stören einfach bei dem Versuch, Natur oder nur Erdgeschichte am<br />

Schopfe zu packen und langsam und stetig aus dem Sumpf des EinzellerUrOzeans herauszuziehen,<br />

wie den Einkristall aus der Vakuumschmelze. Die fundmäßige Rekonstruktion aller<br />

zugehörigen graduellen Variationen zwischen UrSystem und heutigem Zustand würde ja die<br />

Frage nach der Ursache der Variationen überflüssig machen; nichts ist gegen ein »Hinterfragen«<br />

immuner als die Abfolge fast ununterscheidbarer Konfigurationen. Die Erzeugung einer<br />

leichten Variation ist eine Frage des Justierens einer Mikrometerschraube. Da wird man unter<br />

den unzählig zur Verfügung stehenden schon die richtige finden oder kann das dem Zufall<br />

überlassen, solange es eine Instanz wie die »natürliche Zuchtwahl« gibt, die alle »falschen«<br />

Variationen ausradiert.<br />

Katastrophen wachsen sich zu Katastrophen aus, weil sie die unhinterfragbare graduelle Variation<br />

entscheidend stören. Für die Theorie, daß wir die Erdgeschichte als die Abfolge <strong>von</strong><br />

stationären Epochen betrachten können, wird die Katastrophe zu einem Sammelbegriff für<br />

den letzten Auslöser des Überschreitens eines kritischen Parameters. Der kann in der Sauerstoffkonzentration<br />

der Atmosphäre bestehen, der ab einem bestimmten Wert den Stoffwechsel<br />

bestimmter Arten unmöglich macht, oder in dem Absorptionsvermögen der Atmosphäre<br />

bezüglich einer bestimmten Wellenlänge des Sonnenlichtes, die für die pflanzliche<br />

Photosynthese <strong>von</strong> Bedeutung ist, und dergleichen mehr. »Katastrophen« in diesem Sinne

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