Aufarbeitung der Grausamkeiten, Brutalitäten und ... - Gewalt-im-JHH
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Eine Zwangsfütterung musste er selbst einmal erfahren. Große Angst bekam Ingo auf <strong>der</strong><br />
Kleinkin<strong>der</strong>station, wenn ihm angedroht wurde: “Wenn du nicht anständig bist, kommst du<br />
gleich in die Leichenhalle.“ Er war dre<strong>im</strong>al in <strong>der</strong> Leichenhalle, aber nicht infolge <strong>der</strong><br />
Androhung, son<strong>der</strong>n weil er sich darüber informieren wollte, wie es dort aussah. Um eben<br />
gewappnet zu sein, wenn die Androhung in die Tat umgesetzt würde. Die drei freiwilligen<br />
Besuche in <strong>der</strong> Leichenhalle verstand Ingo als Angsttherapie.<br />
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Angst hatte er auch davor, dass aus dem Essensaufzug, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Küche in den Keller des<br />
Johanna-Helenen-He<strong>im</strong>s bis zur Kleinkin<strong>der</strong>station reichte, dunkle Gestalten herauskommen<br />
könnten. An<strong>der</strong>e Kin<strong>der</strong> nannten dies Angst vor dem „Bullemann“.<br />
Ingo konfrontierte auch Pfarrer Kalle mit seinen unangenehmen Erlebnissen. Beispielweise,<br />
als Pfarrer Kalle ihn <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e auserwählte Kin<strong>der</strong> zur Hausandacht auf <strong>der</strong> Frauenstation<br />
einlud: “Ja, tagsüber werden wir hier runtergeputzt <strong>und</strong> einmal in <strong>der</strong> Woche hältst du hier<br />
deinen Gottesdienst. Das wie<strong>der</strong>spricht sich doch.“<br />
Im weiteren Verlauf <strong>der</strong> Gespräche berichtet er, dass die Schwestern an<strong>der</strong>es Essen bekamen<br />
als die Kin<strong>der</strong>. Er selbst hat als Aufstrich „Marmelade, Honig, Marmelade, Honig,<br />
Marmelade, Honig“ bekommen. Gekochte Eier hat es nur selten gegeben, meistens sonntags<br />
<strong>und</strong> mittwochs, wenn Besuch da war. Abends hat „es überwiegend Leberwust, Teewurst <strong>und</strong><br />
fettige Wurst gegeben...“<br />
Auf die Frage, wie viel er am Tage zu trinken bekommen hat, antwortet er: „Das war<br />
unterschiedlich... Wenn du ein Bettnässer warst, hast du nur eine halbe Tasse morgens<br />
bekommen. Wenn du laufend deine Windeln <strong>und</strong> die Hose voll hattest, kriegtest du nur den<br />
ganzen Tag eine halbe Tasse.“ Einige Kin<strong>der</strong> deckten ihren Flüssigkeitsbedarf be<strong>im</strong><br />
Zähneputzen. Auf <strong>der</strong> Kleinkin<strong>der</strong>station allerdings durften alle Kin<strong>der</strong> soviel essen <strong>und</strong><br />
trinken, wie sie verlangten.<br />
Auf die Frage, ob ihn das Gespräch anstrenge, antwortet er: „Nein, sie tut nur Narben öffnen,<br />
die eigentlich schon verheilt waren, aber ich stehe über diesen Narben.“ Er habe seine<br />
Kindheit <strong>und</strong> Jugend verloren.<br />
Jacob, <strong>der</strong> Interviewer, fragt, welche Diakonenschüler er in liebevoller Erinnerung habe. Ingo:<br />
Die heutigen Diakone Adolf Harms, Jochen Twer <strong>und</strong> Heinz Z<strong>im</strong>mer. Außerdem Ursula, die<br />
Ehefrau von Diakon Z<strong>im</strong>mer, die er ja schon auf <strong>der</strong> Kleinkin<strong>der</strong>station kennen gelernt hat.<br />
Im Verlauf des Gespräches schil<strong>der</strong>t er, dass er häufiger zwei ehemalige Schüler aus dem<br />
Johanna-Helenen-He<strong>im</strong> <strong>im</strong> Franz-Arndt-Haus besuchte, die <strong>im</strong> Zuge <strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong><br />
Schule <strong>im</strong> Johanna-Helenen-He<strong>im</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Neuerrichtung des Oskar-Funke-Hauses <strong>und</strong> des<br />
Schulkomplexes Oberlin-Schule, nicht <strong>im</strong> Oskar-Funke-Haus, son<strong>der</strong>n <strong>im</strong> Franz-Arndt-Haus<br />
untergebracht wurden. Dort sah er, „wie unmenschlich die Patienten da <strong>im</strong> Haus behandelt<br />
wurden ...“ Beispielsweise mangelte es an <strong>der</strong> nötigen Körperpflege, außerdem wurde<br />
respektlos mit den dort noch lebenden Kriegsinvaliden umgegangen. So setzte man einem von<br />
ihnen den Eisbecher, aus dem er vorher aß, als Hütchen auf den Kopf.<br />
Wie<strong>der</strong> erzählte er, dass er mit Pastor Lotze über die Zeit sprechen wollte <strong>und</strong> Pastor Lotze<br />
gleich zu verstehen gab, dass er dies nicht möchte. Daraufhin nahm er Kontakte zu Liselotte<br />
Funke (damalige Vizepräsidentin des Deutschen B<strong>und</strong>estages <strong>und</strong> Mitglied des Kuratoriums