winter/zima 2004/2005 - Pavlova hiša
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Menschen aus beiden Ländern, Österreich, Slowenien,<br />
und noch viele andere Völker dazu, haben Tarvis als Stadt<br />
günstiger Einkaufswunder in Erinnerung, dazu den beinahe<br />
traditionellen Stau im Ort und an den beiden Grenzen<br />
rundherum, und schließlich das prickelnde Gefühl, doch<br />
etwas mehr „geshoppt“ zu haben, als es die Zollfreigrenzen<br />
damals erlaubten. Alles fließt … die Slizza/Gailitz/Zilica<br />
ins Schwarze Meer, die Fella/Bela in die Adria … Tarvis<br />
(respektive das gesamte Kanaltal) liegt nicht nur örtlich<br />
gesehen wie immer dazwischen, seine Bewohnerinnen und<br />
Bewohner sowieso: Stolz verkündet selbst der Fremdenverkehrverband<br />
der Region, dass sich die Menschen hier<br />
in zwei bis sieben verschiedenen Sprachen verständigen …<br />
in vier verschiedenen Muttersprachen, nämlich Italienisch,<br />
Friulanisch, Deutsch und Slowenisch, und den drei im Alltag<br />
angewendeten Dialekten des Italienischen, Deutschen<br />
und Slowenischen – vier plus drei ergibt somit sieben.<br />
Weniger einfach als diese Rechnung ist es, das Miteinander<br />
von drei großen europäischen Sprachgruppen gerade an<br />
diesem Ort zu erklären. Geht man vom Zeitpunkt der Völkerwanderung<br />
aus, stellt die slowenische Sprache die älteste<br />
autochthone Sprache des Kanaltales dar. Nur wenig dieser<br />
Besiedlung ist in der gegenwärtigen Namensgebung noch<br />
nachvollziehbar, wie zum Beispiel Ugovizza/Uggowitz/<br />
Ukve oder Bagni di Lussnizza/Luschnitz/Lužnica. Ab dem<br />
10. Jahrhundert, als die Bischöfe aus dem bayrischen Bamberg<br />
die Herrschaft über das Kanaltal übernahmen, kamen<br />
deutsche Siedler hinzu – und damit die ersten Grenzen<br />
zwischen dem geistlichen und weltlichen Einflussbereich<br />
von Aquilea, Freising, Brixen und Bamberg einerseits, den<br />
Geschlechtern der Ortenburger, Spanheimer, Eppensteiner<br />
und der Grafen von Cilli andererseits. Das Gebiet am<br />
westlichen Ausgang des Kanaltals, jenseits der Pontebbana,<br />
eines kleinen Nebenflusses der Fella, war hauptsächlich<br />
friulanisch besiedelt, doch auch hier gab es sowohl slowenische<br />
als auch deutsche Siedlungsinseln, wie rund um Sauris<br />
(deutsch) und im Resiatal (slowenisch). Und aus dem Friulanischen<br />
„Cjânal“ leitet sich auch der Name des Kanal-<br />
Tales ab: eigentlich ein Pleonasmus, da bereits dieses Wort<br />
allein einen „Talboden“ bezeichnet.<br />
Mit der Neuzeit nahm die Anzahl der am Spiel beteiligten<br />
Herrschaften ab, nicht aber die Zahl der das Kanaltal umgebenden<br />
Grenzen. Zwar verschwand 1765 jene zwischen<br />
dem Kanaltaler Thörl und Arnoldstein, als die Bamberger<br />
Bischöfe die Gebietshoheit an die Habsburger abtraten und<br />
das Kanaltal kärntnerisch wurde. Geblieben ist hingegen<br />
die Grenze zwischen dem Doppelort Pontebba-Pontafel,<br />
anfangs als Grenze zu venezianischem Besitz, für 50 Jahre<br />
als Binnengrenze zwischen zwei habsburgischen Besitztümern<br />
und ab 1866 schließlich als Grenze zwischen italienischem<br />
König- und österreichischem Kaiserreich. Eine<br />
weitere Grenze verlief im Osten des Kanaltales: Der Weiler,<br />
in dem unsere Frau Kristina wohnt, sowie der Ort Fusine/<br />
Weissenfels/Bela Peč gehörten im Mittelalter den Ortenburgern,<br />
entlang des Rio Bianco/Weissenbach/Beli potok<br />
verlief bis 1918 die Grenze zwischen den Herzogtümern<br />
Kärnten und Krain. Für kurze Zeit, nämlich zwischen 1811<br />
und 1815, wurde das heutige Fusine wie auch alle anderen<br />
Orte des Kanaltales Teil des „Regno Italia“ der Grenzziehung<br />
Napoleons, während im Krainer Rateče/Ratschach<br />
und Kärntner Arnoldstein/Podklošter seine „Illyrischen<br />
Provinzen“ begannen.<br />
Mit leichten Abänderungen sollte das napoleonische Intermezzo<br />
jene Grenzen vorwegnehmen, die wir heute vom<br />
Dreiländereck kennen. Abgesehen von Germanisierungstendenzen<br />
im Schulwesen und im öffentlichen Leben, wie<br />
wir sie auch aus anderen Teilen der Monarchie kennen,<br />
blieb bis 1915 das Leben und die ethnische Zusammensetzung<br />
im Kanaltal von den erwähnten Besitzwechseln und<br />
Grenzziehungen unberührt. Dann trat Italien in den Ersten<br />
Weltkrieg ein, die Front verlief südlich des Kanaltales. Die<br />
Gebietsansprüche Italiens bezogen sich dabei primär auf<br />
die Kontrolle des Verkehrsknotenpunktes Tarvis als Verlängerung<br />
der „Pontebbana“ – denn damals zweigte hier<br />
noch die Kronprinz-Rudolf-Bahn Richtung Jesenice/Assling<br />
bzw. Laibach ab. Das Kanaltal wurde italienisch.<br />
Aufgrund der erheblicheren Konflikte zwischen Österreich<br />
einerseits (Unterkärnten), Italien und dem SHS-Staat<br />
andererseits (Istrien, Görz, Innerkrain) vollzog sich diese<br />
Grenzziehung relativ unspektakulär, die Folgen für die autochthone<br />
Bevölkerung blieben es jedoch nicht. Behörden<br />
und Ämter wurden von Italienern oder Friulanern übernommen<br />
und die vielen deutsch- oder slowenischsprachigen<br />
Bahnarbeiter verloren ihre Anstellung. Dies brachte<br />
die erste wesentliche Verschiebung in der ethnischen Zusammensetzung<br />
der Kanaltaler Bevölkerung. 1923 wurde<br />
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