winter/zima 2004/2005 - Pavlova hiša
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aus dem utraquistischen Schulunterricht ein einsprachig<br />
italienischer. Der Hitler-Mussolini-Pakt stellte 1939 die<br />
deutsch- und slowenischsprachige Bevölkerung schließlich<br />
vor vollendete Tatsachen: Das faschistische Italien und das<br />
Deutsche Reich vereinbarten die ethnische Begradigung<br />
ihrer Grenzen. Als Folge dieser Vereinbarung, begleitet von<br />
italienischen Drohungen bezüglich einer Zwangsumsiedelung<br />
nach Süditalien, optierten über 90 % der autochthonen<br />
Kanaltaler für das Deutsche Reich, davon war knapp<br />
die Hälfte slowenischsprachig. Die Rahmenbedingungen<br />
für diesen Umzug ins „Reich“ waren denkbar anrüchig:<br />
Bei der 1941 einsetzenden Aktion wurden viele Kanaltaler<br />
auf Kärntner oder Oberkrainer Bauernhöfen angesiedelt,<br />
deren Eigentümer – Slowenen – ihrerseits vertrieben worden<br />
waren. Bis zur Kapitulation Italiens im Frühjahr 1943<br />
verließen etwa 5.700 EinwohnerInnen oder knapp 71 % der<br />
so genannten „Optanten“ das Kanaltal. Dort verwertete inzwischen<br />
die italienische „Ente Nazionale Tre Venezie“ die<br />
zurückgelassenen Besitzungen und stellte sie friulanischen<br />
und italienischen Zuwanderern unter günstigen Konditionen<br />
zur Verfügung. Mit Kriegsende 1945, als die Vorbesitzer<br />
zurückkehren konnten, mussten die Kanaltaler die zugewiesenen<br />
Häuser wieder aufgeben, die Rückkehr in die<br />
alte Heimat war ihnen jedoch versperrt. In der Folge standen<br />
sie zumeist mittellos zwischen allen Grenzen … erst<br />
1955 wurde den in Österreich verbliebenen Kanaltalern die<br />
österreichische Staatsbürgerschaft zuerkannt.<br />
Beenden wir für erste diesen Exkurs über Grenzen, Menschen,<br />
ihre Herrscher und ihre Sprachen und begeben wir<br />
uns wieder auf den „Talboden“ des Kanaltales – diesmal<br />
ein doppelter Pleonasmus. Am südlichen Rand von Camporosso/Saifnitz/Žabnice,<br />
jenseits der Strada Statale und<br />
ziemlich genau auf die Wasserscheide zwischen Adria und<br />
Schwarzem Meer gebaut, blitzt uns die neue Talstation der<br />
Telecabina Lussari entgegen. Seit 4 Jahren steht sie dort und<br />
transportiert sommers etwa 75.000 Pilger zum gleichnamigen<br />
Marienwallfahrtsort auf 1789 Meter Seehöhe. Die<br />
Skihänge links und rechts der Station weisen uns auf die<br />
immer erfolgreichere profane Doppelnutzung als Wintersportzentrum<br />
hin – und tatsächlich wurden im vergangenen<br />
Betriebsjahr beim Kartenverkauf sagenhafte 450%<br />
Steigerung erzielt. Ein Erfolg, der nicht zuletzt auch auf<br />
dem regen Besuch slowenischer Schigäste beruht.<br />
Auch ich möchte wallfahren, aber aufgrund der Preisliste<br />
der Telecabina, die zwischen 4 Altersgruppen, Familien<br />
und/oder verschiedenen Gruppengrößen, Priestern oder<br />
Ordensangehörigen und deren Alter unterscheidet, habe<br />
ich beschlossen, mich nicht noch näher statistisch erfassen<br />
zu lassen. Vielmehr entscheide ich mich für den klassischen<br />
Aufstieg über den Luscharigraben, wobei knapp 1000 Höhenmeter<br />
zu bewältigen sind. Während des Aufstiegs muss<br />
ich an meinen Großvater denken. Auch er war öfter hier,<br />
und noch ganz genau erinnere ich mich an die Ansichtskarte<br />
vom verschneiten Luschariberg, die bei ihm zuhause in<br />
den Slovenske Gorice in der Stube hing. Auch etwas anderes<br />
erinnert längs des Wegs an das Hügelland der Štajerska:<br />
Der Kreuzweg, der diesen Weg säumt, stand früher einmal<br />
in Vurberg/Wurmberg und wurde vor vielen Jahren hier<br />
im Luscharigraben wieder aufgestellt. An jeder der Stationen<br />
findet man kleine, aus Holzsteckerln und Zweigen gebundene<br />
Kreuze, die die Pilger hier aufstellen und die dem<br />
Kreuz- und Pilgerweg einen eigenen Zauber und eine besondere<br />
Ruhe geben.<br />
Oben, bei der „Königin des Kanaltales“, die der Legende<br />
nach seit dem Jahr 1360 über die drei verschiedenen Sprachgruppen<br />
zu ihren Füßen wacht, spricht auch die Pilgerschar<br />
naturgemäß: Slowenisch, Deutsch, Italienisch. Andere Nationalitäten<br />
runden das Bild selbstverständlich noch ab. Für<br />
profane, allzu luftig bekleidete Bergwanderer heißt es spätestens<br />
bei der Kirchentür „Eintritt verboten“, sie werden<br />
zumindest mit einen grandiosen Ausblick belohnt. „Unvergessenes<br />
Kanaltal“ steht auf einer Gedenktafel, die vor einigen<br />
Jahren vom 1979 gegründeten Kanaltaler Kulturverein<br />
an der Rückseite der kleinen Wallfahrtskirche angebracht<br />
wurde. Die Realität der Nachkriegszeit sah naturgemäß anders<br />
aus, denn außerhalb des Kanaltals wuchs nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg schnell Gras über die Geschehnisse der<br />
ethnischen Verschiebung. Zwischen Österreich und Italien<br />
standen vor allem die Minderheitenrechte Südtirols im<br />
Vordergrund, zwischen Italien und Jugoslawien die Grenzstreitigkeiten<br />
um Görz, Triest und Istrien, die erst 1975 im<br />
Osimo-Abkommen ein Ende fanden.<br />
Für Frau Kristina bleibt das Thema der Option ein für ihr<br />
Leben bestimmendes: Sowohl ihre eigene Familie als auch<br />
die ihres späteren Mannes hatten sich damals dafür entschieden.<br />
Bei ihren Eltern, Wirtshausbesitzern aus Weis-<br />
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