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Fragen eines neuen linken Projekts - Instituts für kritische Theorie ...

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831<br />

Perry Anderson, Folker Fröbel, Jürgen Heinrichs, Otto Kreye<br />

Politik des radikalen Realismus*<br />

1. Die Krise des kapitalistischen Weltsystems<br />

Nach zwanzig Jahren <strong>eines</strong> historisch einzigartigen Booms geriet die kapitalistische<br />

Welt Ende der sechziger Jahre in eine schwere Krise, die mittlerweile<br />

nun schon über zehn Jahre andauert. Anfang der siebziger Jahre begannen in<br />

den westlichen Industrieländern die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten<br />

zu fallen und die Preise zu klettern, während Massenentlassungen sprunghaft<br />

zunahmen. Heute, gut zehn Jahre später, befindet sich die Weltwirtschaft inmitten<br />

des langen Abschwungs, der das letzte Drittel unseres Jahrhunderts<br />

auszufüllen droht. Immer noch dominieren verlangsamtes Wachstum, Inflation<br />

und Arbeitslosigkeit die Weltwirtschaft. Einzig in das Verhältnis von Inflation<br />

und Arbeitslosigkeit ist seit einigen Jahren Bewegung gekommen: Um<br />

den Preis weiter steigender Arbeitslosigkeit wurde die Inflation eingedämmt -<br />

freilich ohne daß Preisstabilität eingekehrt wäre.<br />

Wo liegen die Ursachen <strong>für</strong> diesen tiefen historischen Einschnitt? Es sind vor<br />

allem zwei Entwicklungen, die in den westlichen Industrieländern die scheinbar<br />

immerwährende Prosperität der Nachkriegszeit unterminiert haben.<br />

1. Der Boom der Nachkriegszeit führte in den westlichen Industrieländern<br />

zu einer entscheidenden Modifikation des Kräfteverhältnisses von Kapital und<br />

Arbeit. Ohne daß die Arbeiter die kapitalistischen Produktionsverhältnisse als<br />

solche subjektiv in Frage gestellt hätten, kam es während der fünfziger und<br />

sechziger Jahre zu einer folgenreichen objektiven Stärkung der Stellung der<br />

Arbeiterklasse im System der kapitalistischen Produktivkräfte. Zum Teil war<br />

dies schlicht eine Folge des hohen Beschäftigungsstandes, den der Boom mit<br />

sich brachte. Auf weitgehend leergefegten Arbeitsmärkten mußte sich notwendigerweise<br />

die Verhandlungsstärke der Gewerkschaften erhöhen, was auf die<br />

Löhne einen Druck nach oben und auf die Profite einen Druck nach unten<br />

ausübte, zumal erstmals kollektive Tarifverhandlungen in den westlichen Industrieländern<br />

zur Norm geworden waren. Zu den direkt sichtbaren Erfolgen<br />

der Gewerkschaften kamen noch die indirekten in Gestalt der Sozialleistungen<br />

und des Sozialstaats hinzu, sei es, daß sie von Parteien durchgesetzt wurden,<br />

die den Gewerkschaften nahestanden, sei es, weil die Lohnarbeiterschaft selbst<br />

in verschiedenen Formen auf einen weiteren Ausbau des Sozialstaats hinwirkte.<br />

Auch die indirekten Leistungen stellten <strong>für</strong> die Akkumulation des Kapitals<br />

eine Belastung dar, wurden sie doch teilweise durch Abgaben der Unterneh-<br />

• In seiner Originalfassung "On Some Postulates of an Anti-systemic Policy« wurde dieser Beitrag<br />

erstmals auf dem VIth International Colloquium on the World-Economy, »National Policies<br />

and Global Movements of Restructuring« yorgctragen, das, gemeinsam organisiert vom<br />

Fernand BraudeI Center for the Study of Economies, Historical Systems, and Civilizations<br />

(Binghamton), von der Maison des Sciences de I'Homme (Paris) und vom Starnberger Institut<br />

zur Erforschung globaler Strukturen, Entwicklungen und Krisen (Starnberg), am 4. und 5. Juni<br />

1984 in Paris stattfand.<br />

DAS ARGUMENT 148/1984 ·s.

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