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Fragen eines neuen linken Projekts - Instituts für kritische Theorie ...

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Interventionen 907<br />

W.F. Haug: Antwort auf Josef Schleifstein<br />

Lieber Jupp Schleifstein, 6. November 1984<br />

entschuldige bitte, daß ich erst jetzt antworte. Dein Brief vom Februar hatte auf mich<br />

den Eindruck gemacht, nicht auf Beantwortung hin geschrieben zu sein, sondern nur<br />

Absage zu sein, letztes Wort, nicht Teil einer Diskussion.<br />

Nachdem ich den Brief wiederholt gelesen habe, bemühe ich mich um eine etwas distanziertere<br />

Sicht weise unserer Auseinandersetzung. Ich bemühe mich, unsere Divergenzen<br />

sozusagen zu Protokoll zu geben.<br />

Tatsächlich setzte mein Reden von Boykott und Spaltung voraus, daß es etwas Gemeinsames<br />

gäbe. Ich hatte den Marxismus - als wissenschaftliche Herausforderung wie<br />

als politische Option - wie ein Projekt behandelt, das Euch und uns und noch vielen<br />

andern mehr gemeinsam wäre, gewissermaßen eine Grundlage, auf der teils der Streit<br />

um die bessere Ausformung gegeneinander, teils gemeinsame gesellschaftliche Auseinandersetzungen<br />

miteinander zu führen wären und um deren fortgesetzte Verbesserung es<br />

gehen müßte.<br />

Soweit Ihr ein Marxismushandbuch, einen Kongreß, eine Schriftenreihe vorgehabt<br />

und uns um Mitarbeit gebeten hättet, wärt Ihr dabei auf eine grundsätzliche Bereitschaft<br />

bei uns gestoßen. Gleiches dachte ich umgekehrt von Euch. Wenn wir Kongresse oder<br />

Sammelwerke oder ähnliches organisieren - wie zum Beispiel das Kritische Wörterbuch<br />

des Marxismus -, würdet Ihr Eurer Auffassung in diesem Rahmen Gehör verschaffen.<br />

Ihr habt uns belehrt, daß diese Annahmen naiv waren. Wenn ich die Lehre recht verstehe,<br />

besagt sie: Marxistische Unternehmungen müßt Ihr »verantworten können«, um<br />

Euch an ihnen zu beteiligen. Sprich: Die Existenz unterschiedlicher Artikulationszentren<br />

des Marxismus - unter die neben vielen anderen dann auch das Argument zu rechnen<br />

wäre - ist <strong>für</strong> Euch unannehmbar. Ihr wollt Euch k<strong>eines</strong>falls von andern zu marxistischen<br />

Projekten hinzuziehen lassen, um nicht den Eindruck zu erwecken, Ihr würdet deren<br />

Anspruch, marxistisch zu sein, durch Eure Teilnahme »legitimieren«.<br />

Um die Diskussion nicht abbrechen zu lassen, möchte ich meine Kritik und Anspruche<br />

an Euch an dieser Stelle in aller Deutlichkeit auf drei Gebieten formulieren: 1. Euer<br />

Verhältnis zum Marxismus, 2. Euer Umgang mit Wissenschaft und 3. Eurer Verständnis<br />

von politischer Einheit. Schließlich möchte ich 4. noch etwas zum Kritischen Wörterbuch<br />

des Marxismus sagen.<br />

1. Marxismus<br />

1.1 »Marxismus« ist umfassender als »Marxismus-Leninismus«.<br />

1.2 »Marxismus-Leninismus«, zu dem Ihr Euch bekennt, ist eine historische und regionale<br />

Formation von Marxismus, also weder ewig noch allgemeingültig. Sowohl in der<br />

Dritten Welt als in den entwickelten Ländern hat die schöpferische Aneignung und Verwirklichung<br />

des Marxismus erst begonnen.<br />

1.3 Keine Richtung und keine Partei kann - ohne sich dadurch entweder lächerlich zu<br />

machen oder spalterisch zu wirken oder sonst größten Schaden anzurichten - in Sachen<br />

Marxismus einen Alleinvertretungsanspruch behaupten.<br />

1.4 Je nach taktischem Bedarf nennt Ihr Euch Marxisten-Leninisten oder Marxisten.<br />

1.5 Die Formulierungen der FKP vom pluralen Marxismus, der weder Sache einer einzigen<br />

Partei noch überhaupt von Parteien ist, erklärt Ihr <strong>für</strong> eine Haugsche Abweichung.<br />

Zuviel der Ehre <strong>für</strong> Haug. Togliattis Formulierung vom marxistischen Polyzentrismus<br />

im Weltrnaßstab muß endlich durchdacht und in ihren Konsequenzen akzeptiert<br />

werden.<br />

1.6 »Die theoretischen und methodischen Grundanschauungen des Marxismus«, von<br />

denen Du in Deinem Brief wie von einer kristallklaren, harten und eindeutigen Sache<br />

DAS ARGUMENT 148/1984 2';

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