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Fragen eines neuen linken Projekts - Instituts für kritische Theorie ...

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932 Besprechungen<br />

der Kritik Abstand zu unserem vergangenen Denken. Gleichwohl gibt sie neue Fragestellungen<br />

als der Geschichte abgerungene zu erkennen.<br />

Bürgers Studie ist nicht chronologisch angeordnet. Sie zentriert Begriffe verschiedener<br />

Ästhetiken und Philosophien um Forschungsschwerpunkte, die durch einige Exkurse erweitert<br />

werden. Dabei ist der Autor <strong>für</strong> das erst noch zu realisierende Projekt der Aufklärung<br />

engagiert, vermittels <strong>kritische</strong>m Räsonnement in allen gesellschaftlichen Bereichen<br />

eine breite und wache Öffentlichkeit zu schaffen. Wie Habermas unterscheidet<br />

auch Bürger zwischen dem negativ bewerteten Zweck-Mittel-Kalkül der instrumentellen<br />

Vernunft, das weit über die Kosten-Nutzen-Rechnung kapitalistischer Wirtschaft hinaus<br />

in unsere Lebenswelt vorgedrungen ist und diese kolonialisiert hat, und der positiv bewerteten<br />

Rationalität kommunikativen HandeIns, das sich dem Interaktionspartner in<br />

Bedingung, Ausführung und Zweck einer Handlung verständlich zu machen vermag.<br />

Der Wert letztgenannter Rationalität <strong>für</strong> unser Denken und Tun kann nach den verheerenden<br />

Erfahrungen mit dem irrationalen Nazismus schwerlich bezweifelt werden. Für<br />

Bürger ist diese Rationalität bei der Kritik bloß zweckrational ausgerichteter Lebensorganisation<br />

geradezu unverzichtbar. Mag man solcher Einstellung ohne große Vorbehalte<br />

zustimmen können, so treten gewiß Bedenken auf, wenn Bürger seinen Rationalitätsbegriff<br />

auf die Kunstproduktion und Werkrezeption ausdehnt.<br />

Der Gedankengang ist hierbei folgender: Nach dem Scheitern des Anlieges der historischen<br />

Avantgarde, Kunst in Lebenspraxis zurückzuführen, kann die avantgardistische<br />

Revolte gegen den Autonomiestatus des Ästhetischen und seine Autonomiedoktrin sinnvoll<br />

nicht noch einmal wiederholt werden. Eine Rückbindung der Kunst an Lebenspraxis<br />

kann sich aber dann vollziehen, wenn über einen subjektiven Akt ästhetischen Formens<br />

von Welterfahrung oder des Deutens ästhetisch dargebotener Erfahrung ein Prozeß<br />

von Weltaneignung befördert wird, der dem tätigen und lernenden Subjekt Möglichkeiten<br />

an die Hand gibt, seine Geschichte und Umwelt zu durchschauen und sein Leben<br />

selbstbewußt zu gestalten. Eine von Bürger unter dieser Hinsicht ins Auge gefaßte<br />

Kunst, die begrifflich bereits von Herder und Hegel (»philosophische Dichtkunst«) umrissen<br />

worden ist, hat Reflexionscharakter und ist zum Diskussionsgebrauch bestimmt.<br />

Bürger stellt folgerichtig Peter Weiss' »Ästhetik des Widerstands« in den Vordergrund<br />

- ein erzähltes Geschichtswerk.<br />

Nun wird ein Kunstbegriff, demzufolge ein Werk als auf Wahrheitserforschung angelegtes<br />

Verständigungsmanifest in die Alltagswirklichkeit der Subjekte vermittelbar ist,<br />

nicht nur Einspruch bei alten und <strong>neuen</strong> Ästhetizisten hervorrufen. Gerade diejenigen,<br />

die auf den Bildcharakter der Kunst setzen, auf das ästhetisch besondere ihrer Zeichenhaftigkeit,<br />

werden einwenden, daß bei Bürgers Vorschlag der ästhetische Reiz verloren<br />

gehe, auch der Spaß beim Lesen, Sehen, der die ästhetische Rezeption z.B. vom Lesen<br />

<strong>eines</strong> soziologischen, philosophischen, psychologischen Texts unterscheide. Ein solcher<br />

Einwand reduziert die Beschäftigung mit Kunst im Grunde auf die Beäugung ihres<br />

Scheins. Sie schließt produzierende oder analysierende Arbeit am Werk als notwendig zu<br />

leistende ebenso aus, wie der Geniebegriff den Schaffensprozeß verdeckte. Tatsächlich<br />

bringt das Spielerische an der Kunst diese geradezu in eine Opposition zu den genormten<br />

Mechanismen und Zwängen entfremdeter Arbeit. Doch es hieße, die entfremdete Arbeitserfahrung<br />

total ausdehnen zu wollen, versuchte man die Möglichkeit <strong>eines</strong> Sich-Abarbeitens<br />

beim Machen oder Aneignen von Werken zu leugnen. Anstatt die Opposition<br />

zu reproduzieren, welche aus falscher gesellschaftlicher Organisation herrührt, zielt Peter<br />

Bürger auf einen Vermittlungsversuch von Arbeit und Lust zu begierigem Lernen.<br />

Damit steht er in der Tradition Brechts.<br />

Ulrich Meier (Bochum)<br />

DAS ARGUMENT 148/1984 .~

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