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Fragen eines neuen linken Projekts - Instituts für kritische Theorie ...

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Marxismus und revolutionäre religiöse Erfahrungen 875<br />

Parteienkampf in der Philosophie zu sehen, einen Kampf, der in letzter Instanz<br />

die Tendenzen und die Ideologie der feindlichen Klassen der modernen<br />

Gesellschaft zum Ausdruck bringt« (ebd., 363). Der Idealismus ist übrigens<br />

»nur eine verfeinerte, raffinierte Form des Fideismus, der in voller Rüstung gewappnet<br />

dasteht, über gewaltige Organisationen verfügt und nach wie vor unausgesetzt<br />

auf die Massen einwirkt« (ebd.).<br />

Aus diesen Prämissen zieht Lenin rigorose Konsequenzen. Der Kampf gegen<br />

die Religion ist <strong>für</strong> ihn wesentlicher Bestandteil des Klassenkampfs und<br />

demzufolge auch der Aktivität der Partei, wenn auch nicht als das entscheidende,<br />

sondern als ein sekundäres Moment. Wenn die Religion vom Standpunkt<br />

des Staates aus zur Privatangelegenheit erklärt werden muß, so kann das nicht<br />

<strong>für</strong> den Standpunkt der Partei gelten, die »unter anderem gerade <strong>für</strong> einen solchen<br />

Kampf gegen jede religiöse Verdummung der Arbeiter gegründet« worden<br />

ist (Sozialismus und Religion, LW 10, 73). Wenn auch der Staat laizistisch<br />

orientiert sein muß, so kann <strong>für</strong> die Partei nicht dasselbe gelten, gehört doch<br />

der Kampf gegen die Religion zu ihren wesentlichen Aufgaben.<br />

Zu den wesentlichen, aber nicht zu den vorrangigen. Denn der Kampf gegen<br />

die Religion darf niemals so ausgetragen werden, daß er dem politischen<br />

Kampf schadet und der Gegensatz Ausbeuter / Ausgebeutete durch den Gegensatz<br />

Gläubige/Ungläubige verdrängt wird. Alle Formen des antireligiösen<br />

Kampfs, die das Proletariat spalten könnten, sollen vermieden werden. Diese<br />

Unterscheidung zwischen ideologischem und politischem Kampf charakterisiert<br />

den marxistischen Standpunkt gegenüber dem der bürgerlichen Aufklärung.<br />

»Das ist der Grund, warum wir in unserem Programm von unserem Atheismus nicht sprechen<br />

und nicht sprechen dürfen; das ist der Grund, warum wir den Proletariern, die noch diese oder<br />

jene Überreste der alten Voruneile bewahrt haben, die Annäherung an unsere Partei nicht verwehren<br />

und nicht verwehren dürfen.« (Ebd., 74)<br />

b) Die dialektische Lesart<br />

Die antireligiöse Orientierung des Denkens von Marx wird oft mit seinen persönlichen<br />

Erfahrungen erklärt, in denen er es ausschließlich mit einem reaktionären<br />

Christentum zu tun gehabt habe, nämlich dem der Heiligen Allianz.<br />

Diese Erklärung ist jedoch falsch, und hinter ihren Simplifizierungen drohen<br />

außerdem einige grundlegende Probleme zu verschwinden. Tatsächlich hat<br />

Marx Konzepte <strong>eines</strong> religiösen Sozialismus in Deutschland, Frankreich und<br />

England gekannt. Sein erster Kontakt zum sozialistischen Denken wird durch<br />

den linkshegelianischen jüdischen Theologen Moses Hess vermittelt, der die<br />

Idee <strong>eines</strong> »christlichen Kommunismus« verfolgt. Zeitweilig unterhält Marx<br />

auch Arbeits- und Freundschaftsbeziehungen zu Wilhelm Weidling, der unter<br />

dem Einfluß von La Mennais ebenfalls Prinzipien <strong>eines</strong> christlichen Kommunismus<br />

entworfen hat. Außerdem ist Marx am französischen Sozialismus interessiert,<br />

dessen Theoretiker - wie Saint-Simon, Charles Fourier, Victor<br />

Considerant - durch christliches Denken inspiriert sind.<br />

Wenn Marx auch seine Bewunderung <strong>für</strong> diese Denker deutlich macht,<br />

kommt es doch bald zum definitiven Bruch, nachdem Marx ihnen gegenüber<br />

DAS ARGUMENT 148/1984

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