Fragen eines neuen linken Projekts - Instituts für kritische Theorie ...
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960 Besprechungen<br />
Wittwer kann mit seinen Untersuchungen zwar einige refonnpolitische Maßnahmen der<br />
Behörden nachweisen - dazu zählen die Entwicklung sogenannter Autbauschulen, Aktivitäten<br />
im Berufs- und Fachschulwesen, die Neuregelung des Schulgeldes bzw. der Erziehungsbeihilfen<br />
etc. etc. -, doch letztendlich blieb das Bildungsprivileg der Besitzenden<br />
erhalten. - Die Gründe da<strong>für</strong> sieht der Autor zum Beispiel im unausgewogenen<br />
Auftreten der SPD-Fraktion. Dabei gelangt er zu der Feststellung, daß die schwierige<br />
Lage der öffentlichen Finanzen reformhemmend wirkte und sozialdemokratische Beamte<br />
aus »fiskalischen Gründen« oftmals die materielle Verbesserung des Schulwesens<br />
selbst hintertrieben. Faktisch kann das nur heißen, daß sozialdemokratische Führer den<br />
von ihren Anhängern lauthals verkündeten Forderungen zuwiderhandelten.<br />
Proportional geringeren Raum widmet der Autor sozialdemokratischen Bemühungen<br />
um eine staatspolitische Neuorientierung des Schulwesens im Sinne der Weimarer Verfassung.<br />
Dennoch erscheint gerade dieser Abschnitt besonders beachtlich. Hier wird eindrucksvoll<br />
illustriert, daß es bürgerlich-liberalen und sozialdemokratischen Politikern<br />
nicht einmal gelang, das Bildungswesen dem republikanischen Charakter der Weimarer<br />
Staatsordnung anzupassen. Es erscheint dem heutigen Betrachter nahezu unglaublich,<br />
daß Lehrer und Schüler staatlicher Institutionen ungehindert gegen die Republik hetzen<br />
konnten, dem Ex-Kaiser huldigten und daß am Schulgebäude statt der schwarzrotgoldenen<br />
Fahne der Republik das schwarzweißrote Banner flatterte. Die sozialdemokratischen<br />
Politiker beklagten im Parlament und in ihrer Presse den monarchistischen bzw.<br />
militaristischen Geist in den Weimarer Schulstuben und wehrten sich mit unzulänglichen<br />
Mitteln gegen den fortschreitenden profaschistischen Einfluß im Bildungswesen.<br />
Nur am Rande erwähnt der Autor jene erstarkende Oppositionsbewegung innerhalb<br />
der SPD, die gegen die zurückhaltende und kapitulante Stillhaltetaktik ihrer Parteiführer<br />
autbegehrte. Ungesagt bleibt auch, daß die tatsächlichen Herren des Weimarer Klassenstaates<br />
nicht an der Reforrnierung des Schulwesens interessiert waren und sich Kraft<br />
ihrer Machtpositionen durchsetzten. Entsprechende Beweisführungen in marxistisch-leninistischen<br />
Forschungsarbeiten negiert der Autor und erklärt, es handele sich bei »dieser<br />
Literatur« ohnehin nur »um einseitige Abwertungen«.<br />
Helga Gotschlich (Berlin/DDR)<br />
Reichling, Norbert: Akademische Arbeiterbildung in der Weimarer Republik. Lit-Verlag,<br />
Münster 1983 (319 S., br., 38,80 DM)<br />
Seitdem Liebknechts - verkürzte - Parole »Wissen ist Macht« zu einem Motto der<br />
Arbeiterbewegung wurde, gibt es Überlegungen und Modelle zur Arbeiterbildung. Auch<br />
die neueren Ansätze politischer Erwachsenenbildung, die die Differenz von <strong>Theorie</strong> und<br />
Praxis durch »anknüpfen« an der Lebenswelt der Teilnehmer, Konfliktorientierung<br />
oder offene Curricula zu entschärfen suchten, »verbürgen eben nicht die erhoffte Wende<br />
in der Beziehung zwischen 'pädagogischen Subjekten' und 'pädagogischen<br />
Objekten', sondern eher ein Fiasko, in dem niemand 'auf seine Kosten kommt'.« (7) In<br />
Frage steht also die organisierende Funktion der Wissenschaft »als Einheit von Berufsausübung,<br />
Destruktion der Intellektuellenrolle« und politischem Kampf (273). - Also<br />
die Problematik, die Gramsci unter dem Begriff des »organischen Intellektuellen« diskutierte.<br />
Reichling bezieht diesen Ansatz zwar nicht in seine - teilweise daher sehr positivistisch<br />
geratene - Konstruktion von vier Versuchen akademischer Arbeiterbildung in<br />
der Weimarer Republik ein, doch decken sich seine Schlußfolgerungen und Kritikpunkte<br />
häufig mit Gramscis Überlegungen. Der Verfasser referiert jeweils Chronik und Organisation,<br />
Programmatik, Lehr- und Arbeitsfonnen, Teilnehmerzusammensetzung und<br />
Kontroversen der »akademischen Gewerkschaftskurse an der Universität Münster«<br />
(1919-1923), der »Akademie der Arbeit an der Universität Frankfurt« (1921-1933), des<br />
»Freigewerkschaftlichen Seminars <strong>für</strong> Wirtschafts- und Sozialwissenschaft in Köln«<br />
DAS ARGUMENT 148/1984 es