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Fragen eines neuen linken Projekts - Instituts für kritische Theorie ...

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DAS ARGUMENT 148/1984 ©<br />

887<br />

Thomas Laugstien<br />

Bourdieus <strong>Theorie</strong> ideologischer Diskurse<br />

Bourdieus sprachsoziologischer Entwurf*, zusammengestellt aus einem neu geschriebenen<br />

größeren Aufsatz und bereits anderswo publizierten älteren Texten, hat ein doppeltes<br />

Ziel. Er greift die Dominanz des »linguistischen Modells« in verschiedenen Bereichen<br />

der Sozialwissenschaften an, weil dieses »aus der Sprache eher ein Objekt der Anschauung<br />

macht als ein Handlungs- und Machtinstrument« (13), und will dem »ideologischen<br />

Effekt« entgegenwirken, den die Verwendung dieses Modells bei der Analyse von Mythen,<br />

Verwandtschaftssystemen oder Texten hat (indem z.B. die semiologische Analyse<br />

des literarischen Textes durch ihre Beschränkung auf die internen Zeichenrelationen die<br />

Vorstellung der Autonomie des künstlerischen »Werks« bewußtlos verdoppelt; 9). Zum<br />

anderen baut er sprachwissenschaftliche Elemente in eine sozialwissenschaftliche Perspektive<br />

ein, die davon ausgeht, daß der Sinn sprachlicher Praxen und Diskurse (»Ce<br />

que parler veut dire«) durch die gesamte Sozialstruktur mit ihren Klassen- und Herrschaftsverhältnissen<br />

bestimmt ist. Sie wird in drei Abschnitten ausgeführt: Der erste<br />

(»L'economie des echanges Iinguistiques«) untersucht die kulturelle Unterscheidungsfunktion<br />

sprachlicher Handlungen sowie die staatliche Durchsetzung sprachlicher Normen<br />

und institutionalisierter Felder der Kommunikation und entwickelt eine <strong>Theorie</strong><br />

über die »Ökonomie des sprachlichen Austauschs«, die - gewissermaßen ein Gegenkonzept<br />

zu Habermas (1981) - davon ausgeht, daß kommunikatives Handeln in diesen<br />

Verhältnissen nicht an einer herrschaftsfreien Verständigung orientiert ist, sondern<br />

durch die Konkurrenz von Ausdrucksweisen bestimmt ist, die wie auf» Märkten« ausgetauscht<br />

und bewertet werden. Der zweite (»Langage et pouvoir symbolique«) befaßt<br />

sich, vor allem am Beispiel institutionalisierter Diskurse in den Bereichen von Recht, Religion<br />

oder Politik, mit der »symbolischen Macht« sprachlicher Handlungen bei der<br />

Herstellung von Formen sozialer Kohäsion und kollektiver Identität. Der dritte (»Analyses<br />

de discours«) beleuchtet die ideologische Arbeitsweise philosophischer Diskurse.<br />

Bourdieu ordnet die Analyse sprachlicher Praxen in seine kultursoziologische Rahmentheorie<br />

ein, die in Handlungen symbolischer Unterscheidung (distinction) den<br />

Grundmechanismus <strong>für</strong> die Bildung sozialer Identität in antagonistischen Verhältnissen<br />

sieht: Die Gliederung des sozialen Raumes in kulturell abgegrenzte Klassen oder Schichten<br />

(»c1asses« im soziologischen Sinne), die die ökonomischen Klassenverhältnisse in einer,<br />

wie Bourdieu es genannt hat, »trans figurierten« Form reproduziert, konstituiert<br />

sich in symbolischen Formen der Unterscheidung, durch die sich die großbürgerlichen,<br />

kleinbürgerlichen und proletarischen Klassen in ihren kulturellen Praxen gegenseitig<br />

voneinander abgrenzen. So hat Bourdieu in früheren Untersuchungen gezeigt, wie kulturelle<br />

Aktivitäten, in denen die Individuen ihre Position in der Sozialstruktur leben und<br />

mit Sinn ausfüllen, etwa das Photographieren (Bourdieu 1981) oder der Umgang mit<br />

Objekten der Kunst oder kapitalistischen Massenkultur (vgl. Bourdieu 1983), durch diese<br />

Handlungen symbolischer Unterscheidung - und damit durch das antagonistische<br />

Verhältnis der Klassen - funktionalisiert werden. Die Verhältnisse symbolischer Konkurrenz,<br />

in denen die kulturellen Praxen sich artikulieren, verankern sich in einem spontanen<br />

»Habitus« von Wahrnehmungs-, Haltungs- und Bewertungsdispositionen in den<br />

Individuen, die sich so durch Vorlieben oder Abneigung, durch »Geschmack« und<br />

»Stil« in die soziale Klassenordnung einordnen. Bourdieu geht nun davon aus, daß auch<br />

• Bourdieu, Pierre: Ce que parler veut dire. L'economie des echanges linguistiques. Librairie Artheme<br />

Fayard, Paris 1982 (248 S., br., 69,- FF). Zitate aus diesem Band sind mit einfacher Seitenzahl<br />

nachgewiesen.

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