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Fragen eines neuen linken Projekts - Instituts für kritische Theorie ...

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903<br />

J osef Hülsdünker<br />

»Wirtschaftspolitik gegen uns oder mit uns«<br />

Zum 20. Todestag von Viktor Agartz<br />

Daß sein Name heute nicht im gleichen Atemzug mit denen von Böckler, Schumann und<br />

Adenauer genannt wird, hat seinen politischen Grund darin, daß der Sozialist Agartz<br />

mit der Macht der Arbeiterbewegung der aufstrebenden bürgerlichen Selbstgewißheit<br />

und Überheblichkeit die neugegründete Republik streitig machte. Aber seine politischen<br />

Erfolge <strong>für</strong> die Arbeiterbewegung - am Anfang, in den von den Nazis zurückgelassenen<br />

Trümmern von vorwärtstreibender Ausstrahlungskraft - waren am Ende eher bescheiden,<br />

weil sich seine politischen Ziele auf das Notwendige, aber schon Unerreichbare<br />

ausgerichtet hatten. In Anlehnung an ein Wort von Brecht darf man wohl sagen, auch<br />

Agartz hat bedeutende Vorschläge gemacht, von denen schon viele praktisch geworden<br />

sind, und es ist an uns, die übrigen anzunehmen.<br />

Geboren wurde er am 15. November 1897 in einer Remscheider Arbeiterfamilie. Beeindruckt<br />

von der russischen Oktoberrevolution und aufgerüttelt durch die kaiserlichen<br />

Standgerichte, mit denen der deutsche Militarismus den Widerstand gegen den sinnlosen<br />

Grabenkrieg zu unterdrücken suchte, trat er als Achtzehnjähriger in die SPD ein. 1921<br />

nahm er an bewaffneten Aktionen gegen den Kapp-Putsch teil. Nach seinem Studium<br />

der Ökonomie und der Philosophie in Bonn, Münster und Marburg arbeitete er zusammen<br />

mit Hans Böckler in der Konsum-Genossenschaft. 1933, nach kurzer Inhaftierung,<br />

erhielt er Berufsverbot, unterstützte Widerstandsgruppen, arbeitete ab 1937 wieder als<br />

Wirtschaftsprüfer. Als die Alliierten über den Rhein vorstießen, nahm er zusammen mit<br />

Böckler die Neugründung der Gewerkschaften in den »befreiten« Gebieten in Angriff.<br />

Aufgrund seiner illegalen Beziehungen zu in- und ausländischen Widerstandsgruppen<br />

waren auch ihm die <strong>neuen</strong> Ziele bekannt: weg von Richtungsgewerkschaften, Sozialpartnerschaft<br />

und »Führerkreismentalität« und hin zur autonomen Einheitsgewerkschaft.<br />

- Nach 1945 war Agartz führender Wirtschaftsexperte der SPD, galt als »Chefideologe«<br />

der Gewerkschaften, war Mitglied des Landtages in Nordrhein-Westfalen und<br />

hatte <strong>für</strong> kurze Zeit in den Westzonen quasi die Funktion <strong>eines</strong> Wirtschaftsministers inneo<br />

Seine zentrale politische Orientierung bestand darin, »daß ein bestimmender zentraler<br />

Einfluß auf Umfang und Richtung der Produktion erzielt wird«. An dieser Zielsetzung<br />

hielt er auch dann noch fest, als aus den Westzonen eine Republik und aus dieser<br />

schon wieder eine bürgerliche geworden war. Die Verfechter von Restauration, Revanchismus<br />

und hysterischem Antikommunismus in den 50er Jahren machten ihm schließlich<br />

wegen »unerlaubter Ostkontakte« den Prozeß. Heinemann und Posser konnten<br />

zwar vor dem Bundesgerichtshof 1956 einen Freispruch erwirken, aber das Ziel, Agartz<br />

als Ver fechter einer antikapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zu erledigen,<br />

wurde leicht erreicht: 1958 schloß die SPD »ihren« Wirtschaftsexperten und 1%1<br />

der DGB seinen »Generalstabschef« aus, jeweils zu einem Zeitpunkt, als in beiden Organisationen<br />

neue Grundsatzprogramme auf der Tagesordnung standen, in denen dem<br />

Marxismus abgeschworen und die »soziale Marktwirtschaft« anerkannt wurde.<br />

Um im Gedenken an den Tod von Viktor Agartz, der sich am 9. Dezember 1984 zum<br />

zwanzigsten Male jährt, nicht seine »Vorschläge« der Vergessenheit anheimfallen zu lassen,<br />

sollen sie in der Sprache seiner damaligen politischen Gegner erneut zu Gehör gebracht<br />

werden. Seine »These«, schrieb Die Welt 1955, »daß der Kapitalismus nur eine<br />

Übergangserscheinung sei, sowie seine Vorstöße zur Verwirklichung des überbetrieblichen<br />

Mitbestimmungsrechts haben ein freimütiges Gespräch zwischen den Sozialpartnern<br />

häufig erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht«.<br />

DAS ARGUMENT 148/1984

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