Fragen eines neuen linken Projekts - Instituts für kritische Theorie ...
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Psychologie 951<br />
cio Sanitaria«, die auf die Umwandlung der noch bestehenden Anstaltskomplexe in rehabilitative<br />
Zentren ohne Krankenhauscharakter zielen. Hier wird die immer noch vorhandene<br />
gedankliche Produktivität der »demokratischen Psychiatrie« sichtbar und zugleich<br />
auch die Gefahr, die bei einem finanziellen und politischen Substanzverlust der<br />
begonnenen Reform droht. Die Überlegungen in Richtung auf nicht-psychiatrische Lebensalternativen<br />
<strong>für</strong> alte und chronische Patienten, die außerhalb der Anstalt keinen erreichbaren<br />
und integrationsfahigen Lebenskontext mehr besitzen, setzen an den räumlichen<br />
und personellen Ressourcen der Anstalten an. Hier liegt ein Potential, das zu einer<br />
<strong>neuen</strong> institutionellen Gestalt transformiert werden kann, das aber auch zur Restauration<br />
der alten Strukturen mobilisiert werden kann. Das Bewußtsein <strong>für</strong> diese Gefahr ist<br />
allerdings in der Reformbewegung vorhanden.<br />
(3) Der dritte Teil des vorliegenden Buches widmet sich der höchst brisanten sozialpolitischen<br />
Fragestellung, ob die italienische Reformbewegung deshalb so erfolgreich war,<br />
weil sie dem Staat die Chance zu einem fiskalpolitischen Einschnitt in die Psychiatrie angeboten<br />
hat. Diese These, die in einer vielbeachteten Analyse <strong>für</strong> die USA von Scull vertreten<br />
und plausibel belegt wurde, untersucht Giese an Daten, die er <strong>für</strong> Genua erhoben<br />
hat. Der Deinstitutionalisierungsprozeß in den USA hat vor allem zu dem höchst fragwürdigen<br />
Ergebnis geführt, daß nach Schließung staatlicher Anstalten viele Patienten<br />
ohne professionelle Hilfe und ohne die Gewährleistung der Integration in soziale Stützsysteme<br />
sich selber überlassen wurden. Giese kann zeigen, daß es zu solchen Entwicklungen<br />
in Genua nicht kam. Zugleich kann er nachweisen, daß eine psychosoziale Versorgung,<br />
die auf die Anstalt verzichtet, fiskalpolitisch interessant ist und das gerade in einer<br />
Zeit, da die Sozial- und Gesundheitshaushalte schrumpfen. Von daher diskutiert er<br />
die Frage, ob es in Zeiten ökonomischer Krisen nicht auch zu progressiven Krisenlösungen<br />
kommen könnte, wenn sie zugleich nachweislich kostenmindemd wirksam werden<br />
(385). Das halte ich <strong>für</strong> eine äußerst fruchtbare Idee, die einer breiten Diskussion auch in<br />
der Bundesrepublik wert wäre.<br />
Die Frage nach der psychologischen Relevanz des von Eckhard Giese vorgelegten Buches<br />
läßt sich nicht im Sinne einer unmittelbaren klinischen Handlungsrelevanz beantworten.<br />
Sie ist ein Beispiel <strong>für</strong> eine berufsfeldbezogene Kontextanalyse, in der sich sozialpolitische,<br />
sozialepidemiologische und kulturelle Wissensbestände mit Problemstellungen<br />
einer unmittelbaren klinischen Tätigkeit zu einem komplexen Suchschema verbinden,<br />
aus dem heraus sich erst Klinifizierungen und ein therapeutischer Technizismus<br />
als die problematischsten und häufigsten psychologischen Übergeneralisierungen bzw.<br />
Reduktionismen aufzeigen und vermeiden lassen. In der Praxis der »psichiatria democratica«<br />
sind die klassischen »Berufsschneidungen« zwischen den unterschiedlichen psychosozialen<br />
Berufsgruppen weitgehend aufgehoben und der Versuch, eine neue berufliche<br />
Grundhaltung zu entwickeln, ist <strong>für</strong> den Prozeß der Suche einer <strong>neuen</strong> beruflichen<br />
Identität, der unter Psychologen in der Bundesrepublik im Gang ist (Stichwort: »Gemeindepsychologische<br />
Perspektiven«), von größter Relevanz.<br />
Die Dissertation von Giese hat einen klaren und systematischen Aufbau. Sie überzeugt<br />
durch die subtile und überlegene Kenntnis ihres Gegenstandes. Die Sprache ist anregend<br />
und persönlich dort, wo eigene Anschauung und Erfahrung eingehen, zugleich<br />
hat sie sich eine analytische Distanz dort erhalten, wo es gilt, Gesamtzusammenhänge<br />
aufzuzeigen.<br />
Heiner Keupp (München)<br />
Thun, Thomas: Nur Heilige und Poeten? Gemeindepsychiatrie und Arbeitermedizin in<br />
einem römischen Bezirk. Proftl Verlag, München 1984 (358 S., br., 42,- DM)<br />
Über die Faszination, die die italienische Lebenskultur auf deutsche Besucher ausübt,<br />
braucht hier kein überflüssiges Wort verloren zu werden. Daß ein Kunsthistoriker in Italien<br />
schon immer besonders reizvolle wissenschaftliche Objekte orten konnte, bedarf<br />
DAS ARGUMENT 148/1984 es