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Fragen eines neuen linken Projekts - Instituts für kritische Theorie ...

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878 Giulio Girardi<br />

nem primitiven Kommunismus und das Wirken Christi selbst als <strong>eines</strong> politischen<br />

Befreiers zu entdecken, der mit den religiösen Kategorien seiner Zeit<br />

operierte. - In den durch diese Gedanken vorgezeichneten Bahnen bewegen<br />

sich dann zahlreiche »dialektische« Marxisten, von denen vor allem Rosa Luxemburg,<br />

Antonio Labriola und Antonio Gramsci hervorzuheben sind.<br />

Unzweifelhaft ist es Ernst Bloch, der das Verständnis religiöser <strong>Fragen</strong> innerhalb<br />

der marxistischen Tradition am weitesten vorangetrieben hat. Einerseits<br />

kritisiert er das Christentum heftig: »Während ihre Kirchenlichter allerdings<br />

fast ausnahmslos nur zur Beerdigung der Freiheit geschienen haben oder<br />

zur Beförderung dessen, wodurch die Freiheit ihrer Kinder Gottes gar nicht<br />

auf die Welt komme.« (Bloch 1968, 92) Andererseits hebt er hervor: »Ein großer<br />

Teil des revolutionären Stolzes kam erst durch die deutsche Mystik in die<br />

Welt und christlich-humane Utopie spielte ihr vor.« (Bloch 1962, 150) Wie Engels<br />

sieht Bloch die Symbolfigur dieses revolutionären Christentums in Thomas<br />

Münzer, dessen Appell an die Bergleute er als »leidvollstes, rasendstes Revolutionsmanifest<br />

aller Zeiten« ansieht (Bloch 1969, 67). So kann er eine tiefgründige<br />

Konvergenz zwischen Christentum und Marxismus entdecken:<br />

»Der echte Marxismus nimmt statt dessen das echte Christentum ernst, und nicht ein bloßer Dialog<br />

trägt dazu bei, bei dem die Standpunkte am liebsten abgemattet und kompromißlerisch gemacht<br />

werden, vielmehr: wenn christlich die Emanzipation der Mühseligen und Beladenen wirklich<br />

noch gemeint ist, wenn marxistisch die Tiefe des Reichs der Freiheit wirklich substanziierender<br />

Inhalt des revolutionären Bewußtseins bleibt und wird, dann wird die Allianz zwischen Revolution<br />

und Christentum in den Bauernkriegen nicht die letzte gewesen sein - diesmal mit<br />

Erfolg.« (Bloch 1968, 353)<br />

»Das Ziel aller höheren Religionen war ein Land, wo Milch und Honig so real wie symbolisch<br />

fließen; das Ziel des inhaltlichen Atheismus, der nach den Religionen übrigbleibt, ist genau das<br />

Gleiche - ohne Gott, aber mit aufgedecktem Angesicht unseres Absconditum und der Heils-Latenz<br />

in der schwierigen Erde.« (Bloch 1979, 1550)<br />

Aber diese Konvergenz betonen heißt zugleich, einen radikalen Widerspruch<br />

im Zentrum der christlichen Religion aufzukündigen. Bloch weist die »törichtirreale<br />

Mythologie einer Gottes-Hypostase« zurück und hält den Atheismus<br />

<strong>für</strong> eine notwendige Bedingung <strong>für</strong> die Erfüllung des wesentlichsten Anliegens<br />

des Christentums, das heißt der »Hoffnung der Paria«. In der christlichen Religion<br />

und allgemein der Bibel sieht er einen unüberwindlichen Widerspruch<br />

zwischen Dogma und Eschatologie, Schöpfung und Messianismus, Theokratie<br />

und Humanismus: anders ausgedrückt, zwischen einer Welt, die schon geschaffen<br />

ist und die der Mensch zu akzeptieren hat, und einer erst zu schaffenden<br />

Welt, die dem Menschen aufgegeben ist. Dieser Antagonismus läßt sich<br />

<strong>für</strong> Bloch in zwei Texten zusammenfassen: der Genesis (»Siehe, alles ist gut«)<br />

und der Apokalypse (»Siehe, ich werde alles neu machen«). Der wesentliche<br />

Gehalt, der zu bewahrende Aspekt der christlichen Religion liegt in ihrem<br />

eschatologischen, utopischen, messianischen Element (Bloch 1979, 1456-64).<br />

Die Transzendenz wird also nicht deshalb zurückgewiesen, weil sie nicht wissenschaftlich<br />

ist (das ist die Utopie auch nicht), sondern weil sie im Widerspruch<br />

zur revolutionären Praxis und Utopie steht; weil ihr das, was die revolutionäre<br />

Praxis als Ziel verfolgt, als schon geschaffen und vorhanden gilt, als<br />

ein verlorenes Paradies; weil sie das Reich der Freiheit als Geschenk Gottes<br />

DAS ARGUMENT 148/1984 ©

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