Fragen eines neuen linken Projekts - Instituts für kritische Theorie ...
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852 Wieland Elfferding<br />
sie diskursiv von ihren Klassenorganisationen, den Gewerkschaften. Der praktische<br />
Widerspruch, der sich daraus <strong>für</strong> eine Partei ergibt, die seit Jahrzehnten<br />
von einem Drittel der Arbeiter in der Bundesrepublik gewählt wird, findet in<br />
einem relativ breiten inneren »Pluralismus« seine Lösungsform, der christliche<br />
Gewerkschafter und Sozialausschüsse in einer prinzipiell gewerkschaftsfeindlichen<br />
Partei zuläßt.<br />
Entsprechende Artikulationen können <strong>für</strong> andere Parteien, rechte wie linke,<br />
und <strong>für</strong> verschiedene Bewegungen analysiert werden. Die Parteibildung beruht<br />
auf einer Spaltung der sozialen Bewegungen (Jäger 1983) durch gegensät71iche<br />
Verknüpfungen untereinander und mit den ideologischen Mächten (Staat, Religion<br />
usw.; vgl. Elfferding 1983). Es sind also, zumindest zum Teil, die Parteien,<br />
die die sozialen Bewegungen gegeneinander richten. Bei der Untersuchung<br />
von Trennungen und Gegensätzen sozialer Bewegungen untereinander können<br />
wir demnach nicht unbesehen davon ausgehen, daß diese Gegensätze auch unabhängig<br />
von den die Bewegungen umkämpfenden Parteien existieren.2<br />
Die »Neuzusammensetzung« von Bewegungen in einer Partei bewirkt zugleich<br />
eine Modifikation ihrer gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit. Der<br />
Neuverknüpfung von Bewegungsdiskursen in Parteidiskursen entspricht die<br />
Erweiterung und Reorganisation des politischen Zusammenhalts unter der<br />
Mitglieder- und Wählerschaft. Wieder am historischen Beispiel: Die Verkmipfung<br />
von sozialer Frage und Demokratie in der revolutionären Sozialdemokratie<br />
bedeutete zugleich die Verbindung von Arbeiterbewegung und radikalem,<br />
demokratischem Bürgertum - ein Prozeß, in dem sich beide Bewegungen verändert<br />
haben und neue Dimensionen politischer Praxis hinzugewannen.<br />
Die Trennungen und Gegensätze der sozialen Bewegungen sind in der Parteiform<br />
nicht verschwunden, sondern transformiert. Bewegungen organisieren<br />
sich in aller Regel um einen Antagonismus. Sie arbeiten die gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse unter dem einen Aspekt durch und verhalten sich so, als sei der<br />
von ihnen artikulierte Antagonismus in allen Bereichen der bestimmende. In<br />
diesem Sinne sind sie radikal und partikular. Soweit sie einen Zusammenhang<br />
zwischen verschiedenen sozialen Gegensätzen herstdlen, ist er in der Regel »reduktionistisch«:<br />
meist verknüpfen sie die anderen Probleme nicht mit dem ihren,<br />
sondern »wenden« ihres auf die anderen »an«.<br />
Parteien können zwar einen sozialen Gegensatz in den Mittelpunkt ihres diskursiven<br />
Netzes stellen, sie verknüpfen ihn aber mit den anderen Gegensätzen<br />
und organisieren so eine Koexistenz. Dies ist der hegemoniale Aspekt der Parteiform,<br />
der einen Zusammenschluß gegensätzlicher Bewegungen erlaubt. Eine<br />
Partei kann dem zuwiderhandeln - und wird entsprechend an Hegemonie<br />
verlieren) Für Gramsci sind die Parteien die Apparate politischer Hegemonie<br />
(vgl. die Darstellung bei Elfferding/Volker 1979).<br />
Mit dem Übergang von den Bewegungen zur Partei ist eine zweite Modifikation<br />
gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit verbunden: das »Netz« sozialer Bewegungen<br />
ist ins Staatliche transponiert. Die Bewegungen sind nicht im Staat<br />
präsent, sondern re-prdsentiert durch »ihre Partei«. Die Transformation ihrer<br />
Interessen und politischen Ziele in eine höhere Staatsangelegenheit kann man<br />
am besten in der juristischen Konstruktion des Abgeordneten fassen, der ja -<br />
DAS ARGUMENT 148/1984