14 Titel_menschen mit behin<strong>de</strong>rung<strong>Bereit</strong> <strong>zum</strong> <strong>Durchstarten</strong>überblick. Wenn Unternehmen Menschen mit Behin<strong>de</strong>rung beschäftigen, geht es oftnur um die Quote. Zu wenige beachten das Potenzial, das diese Mitarbeiter einbringen.Von Michael Miller (Red.)DefinitionSpätestens seit London gehörtOscar Pistorius zu <strong>de</strong>n weltweitschnellsten Leichtathleten überdie 400-Meter-Strecke. Als ersterSportler mit beidbeinig amputierten Unterschenkelnhat <strong>de</strong>r Südafrikaner an<strong>de</strong>n olympischen Spielen – für nichtbehin<strong>de</strong>rteSportler – teilgenommen.Pistorius ist ein Beispiel dafür, dassMenschen mit Behin<strong>de</strong>rung zu <strong>de</strong>n Bestenin ihrem Tätigkeitsbereich zählenkönnen. Das gilt auch in <strong>de</strong>r Arbeitswelt,wenn die Rahmenbedingungen für Beschäftigtemit Handicap stimmen. Dochgenau darin liegt ein Problem. Dennhäufig sehen Betriebe nicht, welchesLeistungspotenzial in <strong>de</strong>r beruflichenInklusion von Menschen mit Behin<strong>de</strong>rung– also <strong>de</strong>r selbstbestimmten undgleichberechtigten Teilhabe im Berufsleben– schlummert.Tatsächlich dominieren in Betriebenbeim Thema „Behin<strong>de</strong>rung“ bislang Fragenzu Ausgleichszahlungen o<strong>de</strong>r rechtlichenPflichten. All dies sind wichtigeThemen für HR. Gera<strong>de</strong> die Regeln, dieArbeitgeber bei <strong>de</strong>r Beschäftigung vonMenschen mit Schwerbehin<strong>de</strong>rung o<strong>de</strong>rMitarbeitern, die diesen gleichgestelltsind, beachten müssen, dürfen in diesemZusammenhang nicht zu kurz kommen.Daher haben wir die wichtigsten Vorschriftenim Schwerbehin<strong>de</strong>rtenrechtfür Sie zusammengefasst (ab Seite 16).Aber nicht nur Pflichten, auch För<strong>de</strong>rmaßnahmensind für Unternehmenwichtig. Dazu hat die Bun<strong>de</strong>sregierungeinen nationalen Aktionsplan mit rundDer Grad <strong>de</strong>r Behin<strong>de</strong>rung (GDB) wird von 20 bis 100 in Zehnergra<strong>de</strong>n festgestellt.Schwerbehin<strong>de</strong>rung: Ab einem Grad <strong>de</strong>r Behin<strong>de</strong>rung (GdB) von 50 wird auf Antrag einSchwerbehin<strong>de</strong>rtenausweis ausgestellt. Alle vorhan<strong>de</strong>nen Beeinträchtigungen wer<strong>de</strong>nberücksichtigt. Eine Feststellung <strong>de</strong>s GDB erfolgt durch das Versorgungsamt.Gleichstellung: Auf Antrag können Menschen mit einem Grad <strong>de</strong>r Behin<strong>de</strong>rung vonmin<strong>de</strong>stens 30 und weniger als 50 einer Person mit Schwerbehin<strong>de</strong>rung gleichgestelltwer<strong>de</strong>n, wenn sie nach § 2 Abs. 3 SGB IX „infolge ihrer Behin<strong>de</strong>rung ohne die Gleichstellungeinen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen o<strong>de</strong>r behalten können“. Es genügtnicht, dass die Betroffenen arbeitslos sind. Sie müssen gera<strong>de</strong> wegen ihrer Behin<strong>de</strong>rungerheblichen Nachteilen auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt ausgesetzt sein. Gleichgestellte Beschäftigtekönnen beinahe alle Rechte und Leistungen nach <strong>de</strong>m Schwerbehin<strong>de</strong>rtenrechtbeanspruchen. Selbst bei einem GDB unter 30, können Jugendliche mit Behin<strong>de</strong>rung fürdie Berufsausbildung schwerbehin<strong>de</strong>rten Menschen gleichgestellt wer<strong>de</strong>n.200 Maßnahmen beschlossen, die sieumsetzen möchte, um die UN-Behin<strong>de</strong>rtenrechtskonventionzu erfüllen. EinZiel im Bereich Arbeitsleben ist die bessereBeratung kleinerer Betriebe, umfür mehr Arbeitsplätze für Menschenmit Schwerbehin<strong>de</strong>rung zu werben. Danebenexistieren bereits heute zalreicheUnterstützungsmaßnahmen. EinenÜberblick dazu erhalten Sie ab Seite 22.Mehr als PflichterfüllungLetztendlich müssen Unternehmen bei<strong>de</strong>r Beschäftigung von Menschen mitBehin<strong>de</strong>rung aber über das Stadium <strong>de</strong>rPflichten- und Quotenerfüllung hinausgehenund die Beschäftigten mutigerund kreativer einglie<strong>de</strong>rn. Denn abseitsvon Moral und Sozialromantik: Eine zunehmen<strong>de</strong>berufliche Inklusion ist bereitsaufgrund <strong>de</strong>s Fachkräftemangelsökonomisch sinnvoll.Das belegt schon ein Blick auf das reineZahlenwerk: Momentan leben etwa9,6 Millionen Menschen mit Behin<strong>de</strong>rungin Deutschland, etwa 11,7 Prozent<strong>de</strong>r Bevölkerung. Drei Millionen davonbefin<strong>de</strong>n sich im erwerbsfähigen Alter.Was die Beschäftigung von Menschenmit Behin<strong>de</strong>rung im Betrieb angeht, liegtdie Quote in <strong>de</strong>r Privatwirtschaft jedochlediglich bei 3,7 Prozent, bei <strong>de</strong>r öffentlichenHand immerhin bei 6,1 Prozent.Wie Beschäftigte mit Behin<strong>de</strong>rungendas Unternehmen voranbringen, erklärenRegula Dietsche und Dr. Nils Jentvom „Center for Disability and Integration“(CDI) <strong>de</strong>r Universität St. Gallen imInterview (Seite 26). Die nutzenstiften<strong>de</strong>Beschäftigung von Menschen mit Behin-© image source / getty-images.comBei Fragen wen<strong>de</strong>n Sie sich bitte an michael.miller@personalmagazin.<strong>de</strong>personalmagazin 11 / 12
15<strong>de</strong>rung sei vor allem eine Inklusionsfragein bestehen<strong>de</strong> Sozialsysteme, sagtDietsche. Dabei müsse vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n,Menschen mit Behin<strong>de</strong>rung dorteinzusetzen, wo Mitarbeiter ohne Behin<strong>de</strong>rungbesser sind, ergänzt Jent, selbstseit seinem 19. Lebensjahr blind und auf<strong>de</strong>n Rollstuhl angewiesen. Für die Wissenschaftlerist ein Paradigmenwechselnötig, weg von <strong>de</strong>r Defizitorientierung.Verkannte Leistungsträger:Gera<strong>de</strong> das Potenzial vonMenschen mit Behin<strong>de</strong>rungnutzen Betriebe zu selten.Stärken erkennenEs zählt primär also nicht <strong>de</strong>r Blick aufdie Schwäche und <strong>de</strong>r Versuch, dieseauszugleichen. Vielmehr müssen Unternehmengera<strong>de</strong> bei Beschäftigten mitBehin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>ren Stärken suchen undsie gezielt einsetzen. Ein Beispiel dafürliefert die IT-Firma Auticon, die Menschenmit Asperger-Autismus beschäftigtund <strong>de</strong>ren spezifische Stärken nutzt.Die Konzentrationsfähigkeit und Detailgenauigkeitsind Vorteile, wenn sie Softwaretesten. Daher leisten sie für an<strong>de</strong>reMenschen eintönige Arbeit produktiver.Die Vorzüge von Beschäftigten mitBehin<strong>de</strong>rung betont auch <strong>de</strong>r Behin<strong>de</strong>rtenbeauftragte<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung, HubertHüppe: „Viele behin<strong>de</strong>rte Menschensind gut, teilweise sogar besser als an<strong>de</strong>requalifiziert, ihr Potenzial wird auf <strong>de</strong>mArbeitsmarkt aber noch viel zu wenigbeachtet.“ Gera<strong>de</strong> kleinere Betriebe geltees zu überzeugen, Menschen mit Behin<strong>de</strong>rungeinzustellen. „Das ist für <strong>de</strong>nBetrieb gewinnbringend und auch volkswirtschaftlichsinnvoll“, sagt Hüppe.Noch scheinen viele Personaler nichtüberzeugt. Letztlich müssen aber sieMaßnahmen zur beruflichen Inklusionvon Menschen mit Behin<strong>de</strong>rung fin<strong>de</strong>n,<strong>de</strong>nn Themen wie flexible Arbeitszeiteno<strong>de</strong>r Gesundheitsmanagement sind typischeHandlungsfel<strong>de</strong>r von HR. Wobeson<strong>de</strong>rs Nachholbedarf besteht, zeigteine – nicht repräsentative – Umfrage<strong>de</strong>s CDI unter 78 Vertrauenspersonen<strong>de</strong>r Schwerbehin<strong>de</strong>rtenvertretung inHamburger Unternehmen. Gera<strong>de</strong> beiRekrutierung, Führung o<strong>de</strong>r Kultur sindnoch Schwachstellen zu beheben. n