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Psychosoziale und Ethische Aspekte der Männergesundheit.qxp

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gehört noch immer zum Inventar männlicher Sozialisation 102 . Und wenn gewaltbetroffene Jungen noch<br />

2000/01 im Rahmen <strong>der</strong> „Mehr Respekt vor Kin<strong>der</strong>n“-Kampagne des B<strong>und</strong>esministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend nicht als Opfer, son<strong>der</strong>n ausschließlich als potentielle Täter apostrophiert<br />

werden, ist dies ein weiterer Beleg dafür, wie sehr es an adäquaten Wahrnehmungen fehlt (BENTHEIM &<br />

EHRCHEN 2000). Deshalb auch müssen die vielfach favorisierten Gewaltpräventionsprogramme ins Leere<br />

laufen, wenn sie nur die „Domestizierung böser Jungs“ zum Zweck haben. Lei<strong>der</strong> nur sehr zögerlich lernt<br />

man dazu <strong>und</strong> wird das Problemfeld „Gewalt gegen Jungen“ bzw. „gegen Männer“ nunmehr auch<br />

exemplarisch aufgegriffen 103 ; noch immer jedoch gibt es Geld vor allem bei Gewalt: Wer auffällig wird im<br />

Sinne von „sozial unerwünscht“, kann mit Interventionen rechnen. Für Jungen als Opfer von Gewalt gibt es<br />

jedoch kaum Finanzierungen, wie dies viele abgelehnte Anträge auf Einzelfallhilfen o<strong>der</strong> die grassierenden<br />

Mittelkürzungen für entsprechende Anlaufstellen zeigen – selbst dann nicht, wenn mit individueller<br />

Gewaltprävention argumentiert wird.<br />

Fehlende o<strong>der</strong> eingeschränkte Wahrnehmungen von Erwachsenen sind ein Problem für Jungen, das<br />

dringend <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung bedarf. Eine Erfahrung aus dem schleswig-holsteinischen Modellprojekt<br />

„Sexualisierte Gewalt an <strong>und</strong> von Jungen“, das von 1998-2000 Fortbildungen <strong>und</strong> Fachberatungen für<br />

mehrheitlich beruflich mit gewaltbetroffenen Jungen befaßte PädagogInnen insb. aus Einrichtungen <strong>der</strong><br />

ambulanten <strong>und</strong> stationären Jugendhilfe durchführte (BENTHEIM & KRUSE 2000), belegt dies in<br />

anschaulicher Weise. Während sich die weit überwiegende Zahl <strong>der</strong> Anfragen für Fachberatungen <strong>und</strong><br />

Fortbildungen darauf bezogen, wie mit gewaltauffälligen Jungen umzugehen sei, ergaben die<br />

projektbezogenen Evaluationsbögen ein überraschend an<strong>der</strong>es Bild. In diesen wurden die Teilnehmenden<br />

u.a. über Angaben darüber gebeten, wie viele <strong>der</strong> Jungen, mit denen sie beruflich zu tun haben, ihres<br />

Wissens (nicht ihrer Vermutung!) nach „Betroffene/Opfer" von sexualisierter Gewalt, „Ausübende/Täter“<br />

o<strong>der</strong> sowohl Betroffene als auch Ausübende sind. Dabei stellte sich ein Verhältnis von etwa 9:1<br />

„Betroffenen“ zu „Ausübenden“ heraus - ein Ergebnis, das die ursprünglichen Motive für die Anfragen<br />

komplett auf den Kopf stellte. Ein Gr<strong>und</strong> dafür lag darin, dass die Evaluationsbögen nach den Beratungen<br />

<strong>und</strong> Veranstaltungen beantwortet wurden, die Inhalte <strong>der</strong> Fortbildungen also einen Einfluß auf die<br />

Wahrnehmung <strong>der</strong> Teilnehmenden hatten. Die Erkenntnis aus diesem Sachverhalt ist sowohl ernüchternd<br />

als zugleich ein Appell: von sexualisierter Gewalt betroffene Jungen (<strong>und</strong> vermutlich auch an<strong>der</strong>e) werden<br />

als Opfer oft erst wahrgenommen, wenn sie durch Täterverhalten auf sich aufmerksam machen – nicht<br />

jedoch, weil man sich um sie als Jungen mit Opfererfahrungen sorgt.<br />

Was verletzt <strong>und</strong> beschämt Jungen?<br />

Schamgefühle zu entwickeln <strong>und</strong> ihnen zu vertrauen gehört zum „heimlichen“ (weil verdeckten) Prozeß <strong>der</strong><br />

Sozialisation; wir lernen sie situativ erfahrend. Obwohl sie <strong>der</strong> ethischen Orientierung <strong>und</strong> dem Schutz einer<br />

je<strong>der</strong> persönlichen Integrität dienen 104 , können sie mißbraucht werden, indem sie vorsätzlich o<strong>der</strong> fahrlässig<br />

verletzt werden. Was jedoch kaum Teil von Erziehung ist, ist <strong>der</strong> Umgang mit dem Respekt vor <strong>der</strong> Scham<br />

o<strong>der</strong> mit Beschämungen, wenn sie stattgef<strong>und</strong>en haben.<br />

Während eines Workshops <strong>der</strong> Tagung „Männliche Opfererfahrungen“ (Ev. Akademie Tutzing, März<br />

2002) wurden die Teilnehmenden gebeten, die Frage nach körperlichen <strong>und</strong> seelischen Verletzungen von<br />

Jungen vor dem Hintergr<strong>und</strong> ihrer persönlichen <strong>und</strong> fachlichen Erfahrungen zu beantworten. Sensibilisiert<br />

102<br />

Vgl. die sehr lesenswerte Studie von BIRCKENBACH (1985) zum "Konflikt zwischen Pazifizierung <strong>und</strong> Gewalt" bei<br />

jungen Wehrpflichtigen<br />

103<br />

vgl. bspw. das z. Zt. laufende Pilotprojekt "Gewalt gegen Männer" des B<strong>und</strong>esministerium für Familie, Senioren,<br />

Frauen <strong>und</strong> Jugend (www.gewalt-gegen-maenner.de)<br />

104<br />

Nach WURMSER (1990) ist „Scham die unentbehrliche Wächterin <strong>der</strong> Privatheit <strong>und</strong> Innerlichkeit, eine Wächterin, die<br />

den Kern unserer Persönlichkeit, unseren Sinn für Identität <strong>und</strong> Integrität schützt"<br />

Seite 127

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