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Psychosoziale und Ethische Aspekte der Männergesundheit.qxp

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Natur, <strong>der</strong>en Beherrschung Aufgabe <strong>und</strong> Ziel <strong>der</strong> Vernunft ist. 23 Im Menschenbild, das aus diesem die<br />

Mo<strong>der</strong>ne beherrschenden Dualismus hervorgeht, wird <strong>der</strong> Leib zum Objekt. Der Mensch ist nicht mehr<br />

sein Körper, er hat aber einen <strong>und</strong> ist das Subjekt seines Leibes. Diese Objektivierung des Leibes hat<br />

methodisch zum großen Fortschritt <strong>der</strong> Medizin beigetragen, denn erst aus <strong>der</strong> Distanz Subjekt-Objekt<br />

konnte <strong>der</strong> Mediziner den Körper unbefangen zum Gegenstand seiner Forschung machen.<br />

Im Gedankengut <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne ist auch die Autonomie ein absolut vorrangiges anthropologisches Prinzip:<br />

Die Erhabenheit <strong>der</strong> geistigen Vernunft legitimiert jede Bestrebung zur Überwindung von Beschränkungen<br />

<strong>und</strong> Limitierungen, die dem Menschen durch den Körper vorgegeben worden sind.<br />

Das heutige medizinische Wissen hätte sich Descartes sicherlich nicht träumen lassen, dennoch liegt es noch<br />

sehr weit von seinem Ideal <strong>der</strong> absoluten Beherrschung <strong>der</strong> Natur entfernt. Allerdings scheint die Lifestyle-<br />

Medizin in einer zweifelsohne bescheideneren Form auf dieses Ideal ausgerichtet zu sein. 24 Das Ziel dieses<br />

jüngsten Zweiges <strong>der</strong> Medizin ist, die Grenzen <strong>der</strong> Leiblichkeit vornehmlich durch symptomatische<br />

Behandlungen zu überwinden. Der Mensch soll autonom seinen Lebensstil entscheiden, ohne Rücksicht auf<br />

leibliche Begrenzungen nehmen zu müssen. Das geht so weit, dass sogar Behandlungen in Anspruch<br />

genommen werden, die rein auf Surrogatparameter ausgerichtet sind. Arzneimittel können z. B. die Risken<br />

hohen Blutdrucks, eines übermäßigen Cholesterinspiegels, <strong>der</strong> Fettleibigkeit usw. reduzieren, ohne den<br />

verursachenden Lebensstil (Stress, Mangel an Bewegung, unges<strong>und</strong>e Ernährung) än<strong>der</strong>n zu müssen. Für<br />

das Rauchen hat allerdings die Lifestyle-Medizin keine Gegenmittel. Da hilft aber die Körpervergessenheit,<br />

indem man tut, als ob <strong>der</strong> Leib nicht existieren würde.<br />

Der Autonomiegedanke im Zusammenwirken mit dem Ignorieren <strong>der</strong> Vorgaben <strong>der</strong> Leiblichkeit, unterstützt<br />

durch den Fortschritt <strong>der</strong> Lifestyle-Medizin hat im mo<strong>der</strong>nen Menschen eine Haltung <strong>der</strong><br />

Körpervergessenheit, die in <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Form in geringerem Ausmaß schon immer da war,<br />

gestärkt: Man glaubt nicht mehr daran, dass auch <strong>der</strong> Leib beim Vollzug bestimmter personaler Handlungen<br />

wie Erkennen, Erinnern, Wünschen <strong>und</strong> Lieben eine wesentliche Rolle spielt. Man vergisst gerne, dass alle<br />

diese Vollzüge sich in <strong>der</strong> Leiblichkeit, die gleichzeitig ein Limit <strong>der</strong> Person vorgibt, ausdrücken.<br />

4.2.2. Der postmo<strong>der</strong>ne Mensch <strong>und</strong> die Körperverdrängung<br />

Die Postmo<strong>der</strong>ne (2. Hälfte des vorigen Jahrh<strong>und</strong>erts) versucht die Gedanken <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne weiter zu<br />

entwickeln 25 . „Die Gr<strong>und</strong>erfahrung <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne ist die des unüberschreitbaren Rechts hochgradig<br />

differenter Wissensformen, Lebensentwürfe, Handlungsmuster“. 26 Dieser Definition liegt die Vorstellung<br />

zugr<strong>und</strong>e, dass ein <strong>und</strong> <strong>der</strong>selbe Sachverhalt in einer an<strong>der</strong>en Sichtweise sich völlig an<strong>der</strong>s darstellen kann<br />

<strong>und</strong> dass diese an<strong>der</strong>e Sichtweise doch ihrerseits keineswegs weniger „Licht“ besitzt als die erstere – sie ist<br />

nur eben an<strong>der</strong>s. Fortan stehen Wahrheit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit immer im Plural. Es sind keine<br />

einheitlichen Gedanken, es gibt keine eigentliche Denkschule. Dem Denken gemeinsam ist die Bejahung <strong>der</strong><br />

Differenz, <strong>der</strong> Vielfalt <strong>und</strong> des Dissens. Es soll nicht mehr eine Wahrheit geben, son<strong>der</strong>n viele, nicht mehr<br />

eine Gerechtigkeit, son<strong>der</strong>n viele. In <strong>der</strong> Anthropologie <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne können we<strong>der</strong> Dualismen noch<br />

23<br />

DESCARTES R., Discours de la Methode, 6. Parte, Nr.62, Felix Mener Verlag, Hamburg (1960), S. 101<br />

24<br />

KUNZE M., „Lebensstilmedizin“, in: SABLIK K., WEHLE P., Netzwerke Lebensstil, NÖ Landesakademie, St. Pölten<br />

(2001), S. 30-33<br />

25<br />

PRAT E. H., Multiculturalismo: pluralidad y solidaridad, in: BANUS E., LLANO A. (Hrsg.), Razón práctica y<br />

multiculturalismo, Newbooks Ediciones, Pamplona (1999), S. 35-49<br />

26<br />

WELSCH W., Unsere postmo<strong>der</strong>ne Mo<strong>der</strong>ne, Akademie Verlag, Berlin (1993), S. 5<br />

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