02.12.2012 Aufrufe

Psychosoziale und Ethische Aspekte der Männergesundheit.qxp

Psychosoziale und Ethische Aspekte der Männergesundheit.qxp

Psychosoziale und Ethische Aspekte der Männergesundheit.qxp

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Auch blieb bei diesen Forschungsarbeiten noch ein essentieller Aspekt ungeklärt: die Dynamik des<br />

Bullying-Prozesses. Es wurden zwar die vielfältigsten Reaktionen auf aggressives Verhalten festgestellt<br />

(Mitmachen, Anfeuern, zu stoppen Versuchen etc.), unklar blieb jedoch, wie, wann <strong>und</strong> mit welchen<br />

Folgen diese Verhaltensweisen eingesetzt werden. Die verwendeten Untersuchungsmethoden, d.h.<br />

Fragebogenuntersuchungen, erlauben kaum Einblicke in diese dynamischen <strong>Aspekte</strong>.<br />

Bullying als dynamischer Prozess: das Handeln des einen beeinflusst das des an<strong>der</strong>en!<br />

Dynamische <strong>Aspekte</strong> <strong>der</strong> Aggression standen im Forschungsfokus von Schwartz <strong>und</strong> Kollegen (z.B.<br />

Schwartz, Dodge, & Coie, 1993). In einer mehrere Wochen dauernden experimentellen Untersuchung<br />

stellten sie systematisch Gruppen von „Tätern“, „Opfern“ o<strong>der</strong> „Unbeteiligten“ zusammen. Die Gruppen<br />

bestanden ausschließlich aus Knaben, die einan<strong>der</strong> nicht kannten; die Bezeichnung als Täter, Opfer o<strong>der</strong><br />

Unbeteiligte war aufgr<strong>und</strong> von Erhebungen in den ursprünglichen Schulen vorgenommen worden. Die<br />

Schüler sollten an mehreren aufeinan<strong>der</strong> folgenden Tagen spielen <strong>und</strong> wurden dabei beobachtet. Anfangs,<br />

als die Knaben einan<strong>der</strong> noch unbekannt waren, konnten keine Unterschiede in den Interaktionen<br />

festgestellt werden. Aber je länger das Experiment dauerte, desto klarer kristallisierten sich wie<strong>der</strong> die<br />

einzelnen Rollen <strong>und</strong> Verhaltensmuster heraus. Dieses Herauskristallisieren geschah in einem dynamischen<br />

Prozess: wurde ein bestimmtes Verhalten von den an<strong>der</strong>en „belohnt“, so trat es später vermehrt auf; wurde<br />

es nicht belohnt, so trat es später kaum auf. Mit „Belohnung“ ist hier ein Kommunikationsverhalten gemeint,<br />

das sich beispielsweise so gestalten kann: Ein Knabe (Täter) nimmt einem an<strong>der</strong>en etwas weg (Knabe 2).<br />

Darauf sehen sich sowohl Täter als auch Knabe 2 in <strong>der</strong> R<strong>und</strong>e um. Jetzt zeigt sich, ob die Umsitzenden<br />

Knabe 2 die Opferrolle zuerkennen. Falls ja, könnten sie beispielsweise lachen, o<strong>der</strong> es dem Täter gleich<br />

machen. Knabe 2 fühlt sich in die Opferrolle gedrängt – u.U. hat er durch unsicheres Wirken, o<strong>der</strong><br />

dadurch, dass er es verabsäumt hat, sich gegen diesen Übergriff zu wehren mit dazu beigetragen. So bleibt<br />

ihm wenig an<strong>der</strong>es übrig, als seine Rolle anzunehmen; <strong>der</strong> Täter dagegen erfährt diese Szene als soziale<br />

Belohnung: Er ist als <strong>der</strong> Stärkere hervorgegangen <strong>und</strong> darf auch in Zukunft (zumindest diesem Knaben)<br />

Dinge entwenden, denn er wird von den an<strong>der</strong>en nicht sanktioniert, son<strong>der</strong> im Gegenteil, sein Verhalten<br />

findet Anklang... Solche <strong>und</strong> ähnliche Szenen spielen sich praktisch täglich ab, ob am Spielplatz, im<br />

Klassenzimmer o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Familie. Bei wie<strong>der</strong>holtem Ablauf wird das Verhalten <strong>der</strong> einzelnen Akteure<br />

modifiziert o<strong>der</strong> aber stabilisiert. Dadurch kann ein Teufelskreis entstehen, indem aggressives Verhalten<br />

ständig verstärkt wird <strong>und</strong> daher zunimmt, es kommt zu einer „Belohnung“ <strong>der</strong> Täter <strong>und</strong> einer chronischen<br />

Viktimisierung <strong>der</strong> Opfer. Das Entstehen <strong>und</strong> Aufrechterhalten von Bullying folgt genau diesem<br />

Mechanismus, womit Aussagen über den Ursprung <strong>der</strong> Aggression nur schwer getroffen werden können,<br />

denn die einzelnen Ereignisse laufen in einer Form reziproker Beeinflussung ab. Das aber bedeutet, dass<br />

das Verhalten von sehr aggressiven Kin<strong>der</strong>n/Jugendlichen sowohl als Folge(!) als auch als Auslöser(!)<br />

verstanden werden muss!<br />

Zusammenfassend lässt sich Bullying als ein sozialer Interaktionsprozess begreifen, <strong>der</strong> in stabilen Gruppen<br />

stattfindet (Schulklassen) <strong>und</strong> an dem die meisten Gruppenmitglie<strong>der</strong> in irgendeiner Weise beteiligt sind. In<br />

seinem dynamischen Charakter stellt Bullying einen Teufelskreis dar, bei dem Aggression <strong>und</strong><br />

Viktimisierung sich durch mehr o<strong>der</strong> weniger automatisierte Kommunikationsprozesse verstärken.<br />

Seite 137

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!