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Psychosoziale und Ethische Aspekte der Männergesundheit.qxp

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kultiviert sind. Die geschlechtsspezifische Bewältigung von Verletzungen <strong>und</strong> Beschämungen – hier<br />

verstanden im Sinne einer Wie<strong>der</strong>erlangung des seelisch-psychischen Gleichgewichts, das nicht immer <strong>und</strong><br />

zugleich auch sozial `verträglich´ ist – drückt sich auch bei Jungen in externalisierenden o<strong>der</strong><br />

internalisierenden Symptomen <strong>und</strong> Verhaltensweisen aus. Zu den Externalisierungen gehören laute,<br />

auffällige, sozial unangepaßte bis zu übergriffigen Verhaltensweisen, zu den Internalisierungen Rückzug,<br />

Drogenmißbrauch, Überanpassungen an gefor<strong>der</strong>te Erwartungshaltungen 106 . Problematisch für Jungen ist<br />

dabei, dass aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> vorherrschenden Leitbil<strong>der</strong> von Männlichkeit die Wahrnehmung von Erwachsenen<br />

vor allem auf die spektakulären „Mitteilungen“ gerichtet ist (die es von <strong>der</strong>en Seite alsbald in den Griff zu<br />

bekommen gilt), weniger auf die „leisen“, unauffälligen Äußerungen.<br />

Jungen, die häufig erleben, dass ihre Verletzungen <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen ambivalenten Gefühle von<br />

den Erwachsenen nicht wahrgenommen werden, verlegen sich nach <strong>und</strong> nach darauf, ihre Ängste <strong>und</strong><br />

Traurigkeiten zu verstecken, zu unterdrücken, zu verharmlosen, sich unempfindlich zu machen gegen den<br />

Schamschmerz: verstummen, körperlich erstarren, sich anpassen, unauffällig bleiben, gar die Ablehnung<br />

je<strong>der</strong> Art von `Männlichkeit´ wird zur Schutz-Strategie. Übereinstimmend berichten verschiedene Autoren<br />

(z.B. BANGE 1995, JULIUS & BOEHME 1997 für mißbrauchte Jungen) eine Reihe von Symptomen <strong>und</strong><br />

Verhaltensweisen, die zugleich als unbewußte, einer Reflexion nicht zugängliche Bewältigungsstrategien<br />

dienen – <strong>und</strong> funktional zur Wie<strong>der</strong>erlangung des psychischen Gleichgewichts sind.<br />

O<strong>der</strong> Jungen verlegen sich auf das an<strong>der</strong>e Extrem, um den Schamschmerz in einer Art<br />

„Selbstreinigungsprozess“ los zu werden: Erniedrigung an<strong>der</strong>er zur Erhöhung des Selbst, Abwehr von<br />

Ohnmacht mittels <strong>der</strong> Demonstration von Macht, um „zumindest eine Zeitlang nicht demütige Verlierer,<br />

son<strong>der</strong>n selbstbestimmte Akteure“ (ERNST 1996) zu sein. Selbst Eigentumsdelikte <strong>und</strong><br />

Sachbeschädigungen können zu subjektiv empf<strong>und</strong>enen „Überlebensmaßnahmen“ werden, um die<br />

Beschämung <strong>der</strong> Besitzlosigkeit zu neutralisieren; sie sind zu verstehen (nicht zu billigen!) als symbolische<br />

Verhaltensweisen für eine je nach Region <strong>und</strong> Lebenslage eng definierte Akzeptanz von Männlichkeit.<br />

Manche Jungen kontern auf unmittelbare Beschämungen mit Beschimpfungen mit verbaler Schlagfertigkeit<br />

<strong>und</strong> körperlicher Gegenwehr. Wer dies aber nicht kann, bleibt erneut hilflos <strong>und</strong> verstummt.<br />

Jungen lernen – im Kontext von geschlechtsbezogenen Erwartungen <strong>und</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen – fast beiläufig<br />

Strategien des „Sich-unempfindlich-Machens“, um die ersehnte „richtige Männlichkeit“ nicht aufs Spiel zu<br />

setzen: Alkohol als Betäubungsmittel <strong>und</strong> Lustgewinn, exzessiver Sport als Adrenalin-Ableiter <strong>und</strong><br />

Leistungsbeweis, Gewalt als Konfliktunterbrechung <strong>und</strong> Männlichkeitsversicherung. Um in<br />

Krisensituationen das Gesicht nicht zu verlieren (kein Pluspunkt auf dem Weg zur Männlichkeit!),<br />

verstecken sie die Folgen einer Verletzung o<strong>der</strong> Beschämung - zuerst noch mit aller aufzubringenden<br />

Beherrschung, später mit Routine – „behind cool eyes“, hinter Augen, die uns Erwachsenen suggerieren,<br />

alles sei o<strong>der</strong> komme schon in Ordnung 107 . Der Kreis schließt sich, wenn Jungen lernen, dass diese<br />

Strategien auch in an<strong>der</strong>en als unmittelbar bedrängenden, verletzenden, beschämenden Lebenssituationen<br />

funktional sind: sie machen `männlicher´, erfolgreicher, schaffen Akzeptanz bei den Gleichaltrigen <strong>und</strong><br />

schützen zugleich die fragile Identität.<br />

106 ausführlich s. Bentheim (2003)<br />

107 Wortspiel auf den Song „Behind Blue Eyes“ von Pete Townshend (The Who), sinngemäß: "Keiner ahnt wie es ist /<br />

Der böse Mann zu sein / Der unglückliche Mann zu sein / Hinter traurigen Augen / Keiner ahnt wie es ist / Gehaßt zu<br />

werden / Vom Schicksal geschlagen zu sein / Nur Lügen zu erzählen / Aber meine Träume / Sind nicht so öde / Wie meine<br />

Stimmung es vermuten läßt / Ich verbringe St<strong>und</strong>en, nur für mich allein / Meine Liebe ist Rache / Die niemals<br />

herauskommt / Keiner ahnt wie es ist / diese Gefühle zu haben / wie ich sie habe / <strong>und</strong> das werfe ich euch vor / Keiner<br />

wehrt sich so hart auf das / was er an Wut erlebt hat / Nichts von meinen Schmerzen <strong>und</strong> Kummer kann durchscheinen /<br />

Wenn sich meine Faust ballt, brich´ sie auf / Bevor ich sie gebrauche <strong>und</strong> meine Fassung verliere / Wenn ich lächle,<br />

erzähl´ mir schlechte Neuigkeiten / Bevor ich lache <strong>und</strong> mich wie ein Idiot benehme / Wenn ich irgend etwas Schlechtes<br />

hinunterschlucke / Steck mir den Finger in den Hals / Wenn ich zittere, gib mir bitte eine Decke / Wärme mich <strong>und</strong> lass<br />

mich deinen Mantel tragen" (Übers.: A.B.)<br />

Seite 129

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