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Psychosoziale und Ethische Aspekte der Männergesundheit.qxp

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vom vorherigen Tagungsverlauf <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> vorhandenen Fachlichkeit wurden weit überwiegend<br />

Beispiele für seelische Verletzungen <strong>und</strong> Beschämungen benannt, u.a.: Wenn an<strong>der</strong>e über ihn lachen / sein<br />

Vater von <strong>der</strong> Mutter verachtet wird / er in seinem Schmerz nicht wahrgenommen wird / er beleidigt wird,<br />

er als Mädchen bezeichnet wird / er aufgr<strong>und</strong> körperlicher Merkmale ausgegrenzt wird / ihm nicht zugehört<br />

<strong>und</strong> auf seine Fragen nicht eingegangen wird / seine Signale missverstanden werden / er nicht in die<br />

Fußballmannschaft aufgenommen wird / er nie gelobt wird / ihm nicht geglaubt wird / niemand ihn beachtet /<br />

er als Schwuler beschimpft wird / er blamiert o<strong>der</strong> lächerlich gemacht wird / er in die Position eines<br />

Ersatzpartners gebracht <strong>und</strong> damit emotional missbraucht wird / usw. Doch auch die benannten<br />

Verletzungen <strong>der</strong> körperlichen Integrität folgten <strong>der</strong> Erkenntnis: Der Schmerz mag vergehen, die<br />

Beschämung bleibt (BENTHEIM 2002a).<br />

Diese Beispiele korrespondieren mit erlebten Folgen von Ereignissen, wie sie von Männern (hier: nach<br />

sexuellem Mißbrauch) retrospektiv <strong>und</strong> im Kontext gängiger Verhaltenserwartungen berichtet werden,<br />

darunter: Keiner durfte wissen, was ich erlebt habe / ich wollte mir nichts anmerken lassen / ich ekelte mich<br />

vor mir selbst / ich konnte mich nicht wehren (dabei wurde das von mir erwartet) / ich schämte mich, aber<br />

ich konnte o<strong>der</strong> durfte nicht darüber sprechen / ich fühlte mich klein <strong>und</strong> hilflos / ich wußte überhaupt nicht,<br />

warum gerade mir das passierte / ich wollte alles tun, damit ich nicht als schwul gelte / ich wollte allen<br />

beweisen, dass ich cool <strong>und</strong> ein richtiger Junge bin / ich habe niemandem mehr vertraut (dabei sollte ich<br />

immer alles sagen) / ich wollte manchmal schreien (dabei sollte ich zurückhaltend <strong>und</strong> höflich sein) / ich<br />

wußte nicht mehr, was richtig <strong>und</strong> was falsch ist / ich wollte alles kontrollieren, weil sonst alle mit mir<br />

gemacht hätten, was sie wollten / ich dachte, ich bin nicht wie alle an<strong>der</strong>en Jungs / ich dachte, ich bin<br />

überhaupt kein richtiger Junge (BENTHEIM & KRUSE 2000).<br />

Die Beispiele zeigen: Jungen können auf vielfältige Weise verletzt <strong>und</strong> beschämt werden – ganz im<br />

Gegensatz zum gesellschaftlich transportierten Leitbild <strong>der</strong> männlichen Unverletzbarkeit. Bleiben sie aber<br />

allein damit, kann dies zu latenten Ohnmachtsgefühlen, Hilf- <strong>und</strong> Machtlosigkeit, Selbstvorwürfen,<br />

eingeschränktem Selbstwert, Versagensängsten, Depressionen führen. Wenn ihre seelische Verletzungen<br />

nicht wahrgenommen werden o<strong>der</strong> nicht auf sie eingegangen wird, führt dies zu weiteren Beschämungen –<br />

über die wie<strong>der</strong> nicht gesprochen wird.<br />

Bewältigung von Verletzungen <strong>und</strong> Beschämungen<br />

Scham empfindet, wer beschämt wird. Scham muß jedoch auch ihren adäquaten Ausdruck finden können,<br />

um den Respekt vor ihr zur Geltung zu bringen. Fehlt es an Ausdrücken, wird sie "verdrängt, unterdrückt<br />

o<strong>der</strong> maskiert (...) Aber gerade in ihren maskierten Erscheinungsformen rumort sie um so stärker im<br />

psychischen Untergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> belastet <strong>und</strong> vergiftet die Psyche <strong>und</strong> die zwischenmenschlichen Beziehungen<br />

auf vielfältige Weise" (ERNST 1996; vgl. a. WURMSER 1990). Wer verletzt <strong>und</strong> beschämt wurde, bleibt mit<br />

Verwirrung, Verunsicherung <strong>und</strong> Schmerz oft allein – nicht nur, weil wir uns selbst <strong>der</strong> Scham schämen 105 ,<br />

es gibt auch kaum eine Kultur <strong>der</strong> Fürsorge bei emotionalen Belastungen im sozialen Nahraum, geschweige<br />

denn darüber hinaus.<br />

Für Jungen ist dies beson<strong>der</strong>s fatal – gerade weil sie gemäß <strong>der</strong> zitierten Imperative mit ihren Problemen<br />

selbst fertig werden sollen. Wie aber damit fertig werden, wenn Jungen kaum (männliche) Vorbil<strong>der</strong> dafür<br />

erlebt haben, sich in Notsituationen mitzuteilen, wenn we<strong>der</strong> sie noch die meisten Erwachsenen das<br />

Kommunizieren von ambivalenten Erfahrungen, traurigen Gefühlen, Ohnmachtserlebnissen gelernt haben?<br />

Wer über keine hinreichend zu entschlüsselnde Sprache verfügt, signalisiert auf an<strong>der</strong>e Weise seine Not<br />

<strong>und</strong> Hilfebedarfe – in <strong>der</strong> Annahme, die Botschaften könnten gerade von Erwachsenen decodiert <strong>und</strong><br />

verstanden werden. Ein Trugschluß jedoch, weil diesbezügliche Erfahrungen von Erwachsenen kaum<br />

105 Günter ANDERS, zit. n. ERNST (1996)<br />

Seite 128

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