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Psychosoziale und Ethische Aspekte der Männergesundheit.qxp

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nicht nur an die Zufälligkeit <strong>der</strong> Erfahrung des Sterbens an<strong>der</strong>er geb<strong>und</strong>en, son<strong>der</strong>n würde auch immer nur<br />

zu einer Wahrscheinlichkeit eigenen Sterbens führen. Ein Induktionsschluss erkläre we<strong>der</strong> die unmittelbare<br />

Gewissheit <strong>der</strong> eigenen Sterblichkeit, noch erkläre er, warum Krankheit <strong>und</strong> Älterwerden auf ein Ende<br />

verweisen sollen. Ein Induktionsschluss erkläre nicht das Wissen um die Begrenztheit des eigenen Lebens,<br />

son<strong>der</strong>n setze es vielmehr in Wahrheit immer schon voraus. Nur weil uns unabhängig von <strong>der</strong> Beobachtung<br />

des Sterbens an<strong>der</strong>er die Begrenztheit unseres Lebens schon erschlossen ist – weil wir eine „intuitive<br />

Todesgewissheit“ besitzen – können wir Kräfteverfall <strong>und</strong> Alterserscheinung als auf den Tod gerichtet<br />

erfahren. Die Todesgewissheit ist nach Scheler ein konstitutives Strukturmoment unserer Lebenserfahrung.<br />

Indem das Verhalten ein entsprechendes Verständnis von Sterben <strong>und</strong> Tod impliziert – das zumeist<br />

unreflektiert bleibt, aber einer methodisch-kritischen begrifflichen Aneignung zugänglich ist – kann man<br />

Frauen <strong>und</strong> Männer nach ihren Vorstellungen von Sterben <strong>und</strong> Tod <strong>und</strong> ihren Einstellungen dazu (Tod als<br />

‚natürlicher’ Tod, d.h. als definitives Ende o<strong>der</strong> Tod als Verwandlung, Übergang in ein neues Leben) o<strong>der</strong><br />

nach ihrer unterschiedlichen Bewältigung des Todes ihnen nahe Stehen<strong>der</strong> befragen. Mütter, so heißt es,<br />

würden im Allgemeinen ihre Trauer um ein verstorbenes Kind leichter zum Ausdruck bringen als Väter, die<br />

ihre Gefühle eher verbergen o<strong>der</strong> das Sterben ihrer Kin<strong>der</strong> dadurch ‚bewältigen’, dass sie einfach die<br />

Familie verlassen. Frauen würden den Tod als etwas von ‚innen’, Männer als von ‚außen’ Kommendes<br />

sehen. Die Betreuung Sterben<strong>der</strong> werde mehrheitlich nicht von Männern, son<strong>der</strong>n von Frauen übernommen<br />

usf. So wichtig <strong>und</strong> unverzichtbar solche geschlechtsspezifischen Befragungen sind, ihr Stellenwert hängt<br />

davon ab, inwieweit sie das Methodenproblem reflektiert haben, vor dem empirische Untersuchungen<br />

geschlechtsunterschiedlicher Erfahrungen, Einstellungen <strong>und</strong> Bewertungen stehen. Unbestritten bleibt, dass<br />

es Erfahrungen des Sterbens gibt, die Männern verwehrt sind. Was es z.B. heißt, ein Kind zu verlieren,<br />

stellt sich Frauen naturgemäß an<strong>der</strong>s dar, weil die Erfahrung des Gebärens <strong>und</strong> Mutter-Seins eben nur<br />

Frauen machen können. Ebenso verhält es sich beim Durchleiden eines Sterbens in <strong>der</strong> Schwangerschaft.<br />

Niemand wird dies ernsthaft in Frage stellen wollen. Allerdings ist mit dem Aufdecken von Einstellungs-<br />

<strong>und</strong> Bewertungsunterschieden zwischen Männern <strong>und</strong> Frauen die Frage keineswegs schon beantwortet,<br />

worauf diese Unterschiede zurückzuführen sind. Hier gilt es zweierlei zu beachten.<br />

Man muss sich erstens vor einem Biologismus hüten, <strong>der</strong> menschliche Erfahrungen, Verstehens- <strong>und</strong><br />

Verhaltensweisen, praktische Stellungnahmen reduktionistisch als Funktionen einer Organausstattung<br />

interpretiert (bekanntestes Beispiel: Denken als Gehirnfunktion, Vernunft als Systemeigenschaft).<br />

Menschliche Einstellungen zum eigenen Mann- o<strong>der</strong> Frau-Sein sind keine naturwüchsigen Auswirkungen<br />

physiologisch beschreibbarer Geschlechtsunterschiede. Unsere durch den Geschlechtsunterschied<br />

bestimmte Menschennatur enthält zwar einen unbeliebigen Dispositionsrahmen, aber diese naturalen<br />

Vorgaben werden immer nur in praktischen Stellungnahmen zu ihnen wirksam. Unsere menschliche Natur<br />

ist immer schon eine von uns interpretierte, in unsere eigene, sozio-kulturell mitbestimmte Stellungnahme zu<br />

ihr eingebettete Natur. Freiheit <strong>und</strong> Vernunft stehen nicht im Gegensatz zur menschlichen Natur, son<strong>der</strong>n<br />

bilden eines ihrer konstitutiven Momente. Wo das nicht berücksichtigt wird, verlieren empirische<br />

Untersuchungen etwa zur An<strong>der</strong>sartigkeit des Sterbens von Männern <strong>und</strong> Frauen ihre Aussagekraft. Es<br />

gehört zur Menschennatur kulturell interpretiert zu sein, was sich z.B. in unterschiedlichen geschichtlichen<br />

Rollenbil<strong>der</strong>n, gesellschaftlichen Tabus, geschichtlich gewachsenen Erwartungshaltungen nie<strong>der</strong>schlägt,<br />

denen Frauen <strong>und</strong> Männer ausgesetzt sind. Das gilt es bei <strong>der</strong> Rede von <strong>der</strong> ‚Natürlichkeit’ des<br />

Geschlechtsunterschieds zu beachten. Zweitens muss – wie das bei je<strong>der</strong> ernsthaften Fragestellung<br />

unumgänglich ist – nach <strong>der</strong> sachlichen Berechtigung <strong>der</strong> Vorbegriffe gefragt werden, die die Untersuchung<br />

von Anfang an bereits leiten. Jede Frage nach geschlechtsspezifischen Unterschieden bewegt sich<br />

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