MOTORRAD 21/2015
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„Ich hatte<br />
ANGST, weil<br />
ich keine Angst<br />
mehr hatte“<br />
fühlte ich mich von vielen Lasten befreit.“ Mit<br />
seiner Eskorte sei er dabei oft Ampelrennen<br />
gefahren – und er habe immer gewonnen.<br />
Immer! Auf den Einwand, die Polizisten hätten<br />
ihn bestimmt gewinnen lassen, weil<br />
er ja der Boss war, reagiert Varoufakis zum<br />
einzigen Mal während des gesamten Interviews<br />
ungehalten: „Quatsch! Die wollten<br />
es wirklich wissen, das waren tolle Burschen<br />
und auch super Fahrer. Aber ich hatte doch<br />
mit der Yamaha viel mehr Dampf!“<br />
Wenn er von seiner Yamaha erzählt,<br />
gerät der Professor ins Schwärmen. „Sie<br />
erinnert mich an die Bikes der 70er, der luftgekühlte,<br />
unverkleidete Vierzylinder ist einfach<br />
herrlich. Und sie ist kein Poser-Motorrad,<br />
das vorgibt, mehr zu sein, als es ist.<br />
Außerdem fährt sie sich erstaunlich leicht für<br />
so ein dickes Ding, gerade auch in der Stadt.<br />
Sie ist wendig, relativ schmal und hat so viel<br />
Druck, dass man damit jede kleinste Lücke<br />
im Verkehr nutzen kann.“<br />
Diesen Druck nutzte er auch, um nach<br />
seinem Rücktritt regelrecht die Flucht zu<br />
ergreifen, eine Szene, die ihm gerade die<br />
Boulevardpresse, die ihn zunächst hochgejubelt<br />
hatte, ankreidete – zumal seine Frau<br />
Danae mit wehenden blonden Haaren und<br />
ohne Helm auf dem Sozius saß. „Dabei fährt<br />
meine Frau wirklich immer mit Helm, wie<br />
ich auch. Aber an diesem Tag warteten 300<br />
TV-Stationen auf mich, 300! Und 1000 Journalisten!<br />
Ein unglaublicher Trubel.“ Er hatte<br />
gerade seinen Rücktritt erklärt, die Pressekonferenz<br />
war beendet. „Danae wollte mich<br />
abholen. Wegen des Auflaufs hatte sie ihre<br />
BMW drei Straßen weiter abgestellt, mit ihrem<br />
Helm dran. Als ich aus dem Ministerium<br />
kam, haben die Journalisten förmlich Jagd<br />
auf Danae und mich gemacht. Also sind wir<br />
regelrecht geflohen, vor 300 TV-Teams, die<br />
mit den Kameras hinter uns herrannten.<br />
Meine Frau schwang sich in dieser Situation<br />
spontan hinter mir aufs Motorrad. Ich habe<br />
sie nur drei Straßen weiter bis zu ihrer BMW<br />
gefahren.“ Für die Einzylinder-F 650 GS<br />
seiner Frau findet Varoufakis keine freundlichen<br />
Worte: „Ein schreckliches Motorrad,<br />
meiner Meinung nach fahren das meist<br />
Leute, die eigentlich gar keine Motorräder<br />
mögen. Aber meine Frau liebt sie trotzdem.“<br />
Die XJR besitzt Varoufakis seit fünf Jahren,<br />
drei davon stand sie in der Garage, als<br />
er in den USA lehrte. Dort legte sich der<br />
Wirtschaftswissenschaftler, unberechenbar,<br />
wie er nun mal ist, eine Harley zu. „Bis auf<br />
ihren Sound finde ich sie eigentlich echt<br />
nicht gut, aber das musste einfach sein.<br />
In den USA hat eine Harley doch irgendwie<br />
etwas Erhabenes. Ich hatte eine Electra Glide,<br />
das volle Programm, ein Dickschiff mit<br />
Stereoanlage und allem Drum und Dran.“<br />
Varoufakis entpuppt sich auch dann als<br />
Mann der Extreme, wenn es nicht um Politik<br />
geht. Und doch ist er auch ein ganz normaler<br />
Motorradfahrer, der in seinen Zwanzigern<br />
mit einem Kumpel von Grand Prix<br />
zu Grand Prix durch halb Europa zog – „wir<br />
machten jugendlichen Unsinn, schliefen bei<br />
Regen im Freien und so“ –, der auf dem Motorrad<br />
Grenzen auslotete, der immer wieder<br />
neue, andere Maschinen ausprobierte.<br />
Plötzlich dreht er das Frage-Antwort-<br />
Spiel um und will von uns etwas wissen:<br />
„Stimmt es, dass in Deutschland kaum mehr<br />
junge Leute Motorrad fahren?“ Als wir, erstaunt<br />
über sein Szene-Wissen, bejahen,<br />
dass meist graue Haare unterm Helm hervorkommen,<br />
grinst er breit und setzt hinzu:<br />
„Oder gar keine Haare, nicht? Haha!“ Um<br />
dann zu sinnieren: „Warum sollte man das<br />
Fahren auch je aufgeben? Dieses Gefühl, auf<br />
zwei Rädern unterwegs zu sein, ist doch viel<br />
zu großartig. Und mit dem Fahren um des<br />
Fahrens willen haben speziell wir Griechen<br />
eine große Tradition, sie fängt bei Homer<br />
und der Odyssee an. Motorradfahren ist wie<br />
Segeln, ein Auto kann da nie mithalten.“<br />
Sorgen, so sagt er, würden ihm nur die<br />
Elektromotorräder machen. Natürlich sehe<br />
und teile er den Umweltaspekt, aber Elektromotoren<br />
passten einfach nicht zu zwei<br />
Rädern. Ob er selbst schon mal E-Bike gefahren<br />
sei? „Das will ich gar nicht, allein die<br />
Vorstellung macht mich traurig.“ Aber die<br />
haben ein Wahnsinnsdrehmoment, und darauf<br />
stehe er doch so. Neues Interesse blitzt<br />
plötzlich in Varoufakis’ Augen auf, so weit<br />
hat er sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt.<br />
„Ach ja? Na, dann überlege ich mir<br />
das vielleicht noch einmal.“<br />
Das ganze Interview im Wortlaut auf<br />
www.motorradonline.de/varoufakis<br />
Die <strong>MOTORRAD</strong>-Tassen waren ein Gastgeschenk der Redakteure Eva Breutel und Michael<br />
Schümann. Der Piaggio Sfera 125 (rechts hinten) ist Varoufakis’ Einkaufsroller auf Ägina<br />
www.motorradonline.de LEBEN 173