MOTORRAD 21/2015
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B L I C K P U N K T<br />
Risikofaktor Gepäck bei KTM Adventure<br />
Schwerer Alleinunfall auf der A 7 bei Kassel: Der<br />
KTM-Fahrer schwebte zunächst in Lebensgefahr<br />
DAS WAR’S WOHL<br />
Sind Fahrstabilitätsdefizite der KTM Adventure bei Beladung<br />
schuld an einem Unfall? Nein, sagt das Kraftfahrt-Bundesamt.<br />
Der Fall ist abgeschlossen, ein mulmiges Gefühl bleibt.<br />
Von Brigitte Haschek; Fotos: Hessennews.tv, Hertler (1), markus-jahn.com (1)<br />
Schulter genommen? Tatsache ist, dass<br />
der Mann die R-Version KTM 1190 Adventure<br />
fuhr. Deren längerer Federweg dürfte<br />
die Fahrwerksunruhe zusätzlich befeuert<br />
haben.<br />
Ende August teilt das KBA der Redaktion<br />
dann abschließend mit: „Laut den dem<br />
KBA vorliegenden Unterlagen und Informationen<br />
liegen keine Hinweise auf ein<br />
tech nisches Problem im Sinne eines Serienmangels<br />
vor. Unfallursache scheint nach<br />
Aktenlage ein Nichtbeachten der Verwendungsbeschränkungen<br />
durch den Fahrzeugführer<br />
gewesen zu sein.“ Im Klartext:<br />
Er war schneller unterwegs, als die Sicherheitshinweise<br />
raten.<br />
Am 11. August dauert die allmorgendliche<br />
Konferenz der<br />
<strong>MOTORRAD</strong>-Mannschaft länger<br />
als üblich. Der Grund: die Nachricht<br />
vom Unfall einer KTM 1190 Adventure,<br />
bestückt mit zwei Seitenkoffern und einem<br />
Topcase, die sich aufgeschaukelt hatte und<br />
von ihrem Fahrer nicht mehr kontrolliert<br />
werden konnte. Viele Kollegen, die mit<br />
genau dieser Reiseenduro und Beladung<br />
während des <strong>MOTORRAD</strong>-Dauertests unterwegs<br />
waren, tauschen ungute Erinnerungen<br />
aus. „Starkes Pendeln mit Gepäck“ –<br />
dieser Eintrag zog sich wie ein roter Faden<br />
durch das Dauertest-Fahrtenbuch. Zudem<br />
hatte <strong>MOTORRAD</strong> mehrfach die Geradeauslaufstabilität<br />
der KTM 1190 Adventure<br />
und die ihres Schwestermodells 1290 Super<br />
Adventure angeprangert, KTM sogar zu<br />
einem Ortstermin auf die A 81 gebeten und<br />
die Instabilität demonstriert.<br />
Noch am selben Tag kündigt das Kraftfahrt-Bundesamt<br />
(KBA) auf Nachfrage<br />
der Redaktion eine Untersuchung des konkreten<br />
Falls an (siehe Heft 18, Seite 22). Das<br />
Amt muss als zuständige Produktsicherheitsbehörde<br />
solchen Hinweisen nachgehen.<br />
Nach <strong>MOTORRAD</strong>-Recherchen ergibt<br />
sich recht zügig folgende Faktenlage: Bei<br />
den Seitenkoffern der Unglücksmaschine<br />
handelt es sich um KTM-Originalzubehör,<br />
das von Touratech gefertigt wird. Das angebaute<br />
Topcase ist dagegen kein originales<br />
KTM-Zubehör, sondern war bei BMW als<br />
62 BLICKPUNKT<br />
Werkszubehör für die luftgekühlte R 1200<br />
GS Adventure im Angebot. Die seitlichen<br />
Gepäckfächer weisen auf eine maximale<br />
Höchstgeschwindigkeit von 130 m/h hin<br />
und sind mit Beladungsobergrenzen versehen<br />
(siehe Foto unten). KTM selbst warnt in<br />
der Bedienungsanleitung für die Adenture-<br />
Baureihen vor „instabilem Fahrverhalten<br />
bei hoher Geschwindigkeit“ und empfiehlt:<br />
„Fahren Sie langsamer, wenn Ihr Motorrad<br />
mit Koffern oder anderem Gepäck beladen<br />
ist. Höchstgeschwindigkeit mit Gepäck<br />
150 km/h.“ Und: „Wenn Sie Koffer montiert<br />
haben, die Herstellerangaben beachten.“<br />
Mit solchen Sicherheitshinweisen haben<br />
Fahrzeug- wie Zubehörhersteller ihrer<br />
Verbraucherinformationspflicht genüge<br />
getan und sind somit in der Regel raus aus<br />
der Haftung. Kannte der 55-jährige Fahrer<br />
aus Hannover, der den schweren Unfall<br />
glücklicherweise überlebte, diese Hinweise?<br />
Hat er sie vielleicht auf die leichte<br />
150 PS, aber nicht schneller als 130 km/h<br />
– das passt nicht zusammen<br />
Kommentar <br />
Redakteur Stefan<br />
Kaschel (49) zum<br />
Hochgeschwindigkeitspendeln<br />
der Adventure-<br />
Modelle – und<br />
zur Noncha lance,<br />
mit der die Österreicher<br />
dies behandeln.<br />
Wenn eine 150-PS-Maschine auf<br />
130 km/h beschränkt wird, nur<br />
weil sie Koffer trägt, ist der Hersteller<br />
rein rechtlich gesehen aus dem<br />
Schneider. Aber: Warum kauft sich jemand<br />
eine Reiseenduro mit 150 PS?<br />
Doch wohl, weil er zügig reisen will,<br />
und zwar mit Gepäck. Wenn er mit<br />
130 km/h über deutsche Autobahnen<br />
bummeln wollte, täte es auch eine<br />
Honda Transalp. Daher nehmen die<br />
Besitzer einer großen Reiseenduro<br />
den Hinweis im Handbuch oder in<br />
den Koffern vermutlich zur Kenntnis,<br />
aber nicht ernst. Und haben trotzdem<br />
in der Regel keine Stabilitätsprobleme.<br />
Eine Suzuki V-Strom 1000 zum<br />
Beispiel ist mit Koffern ebenfalls auf<br />
130 km/h beschränkt, fährt aber auch<br />
bei Vollgas noch stabil. Die Koffer für<br />
eine R 1200 GS sind bis 180 km/h<br />
zugelassen und die BMW liegt auch<br />
jenseits der 200 km/h noch satt. KTM<br />
sollte angesichts der gefährlichen<br />
Eierei schnellstens nachbessern, statt<br />
sich auf die Rechtslage zu berufen.