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Le Corbusiers Pariser Villen 1920 -1930<br />
Timothy J. Benton<br />
Einführung<br />
Oft wird über die Architekten der Moderne kritisch geäußert, sie hätten<br />
den Sozialbau gepredigt, aber private Häuser für die Reichen errichtet.<br />
Auch wenn man alle Einfl ußfaktoren in Betracht zieht - den politischen<br />
Kontext, die Notwendigkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen oder das<br />
kultivierte Bürgertum durch die Form zu verführen, um es von der Kraft<br />
des Inhalts zu überzeugen - , bleibt das Problem immer noch bestehen.<br />
Viele grundlegende Dogmen der modernen Architektur entspringen aus<br />
den verschiedenen Strömungen sozialer Utopien und Reformen, und<br />
ein Historiker muß sich die Frage stellen, wie viele dieser Doktrinen von<br />
Architekten kompromittiert wurden, die von reichen, geschmäcklerischen<br />
Auftraggebern abhängig waren. Im Falle von Le Corbusier und Pierre<br />
Jeanneret sind diese Erörterungen nicht ohne Bedeutung. Sie errichteten<br />
zwar während der zwanziger Jahre einige «soziale» Bauvorhaben,<br />
darunter eine Reihe von Wohnanlagen, von denen Pessac bei weitem die<br />
wichtigste war, aber die tatsächliche Einkommensquelle bestand aus<br />
Honoraren für private Häuser, vor allem solche in der Pariser Gegend.<br />
Am Ende des Jahrzehnts begann die «Ära der großen Arbeiten» mit dem<br />
Auftrag für Centrosoyus, dem Bau für die Heilsarmee, der Fondation<br />
Suisse, dem Clarté-Gebäude in Genf und den Appartements in der Rue<br />
Nungesser-et-Coli in Paris. Le Corbusier erwarb sich durch diese Arbeiten<br />
sowie durch seinen weltweiten Ruf die Freiheit, sich von der üblichen<br />
Praxis privater Architektur zurückziehen zu können und sich auf die<br />
langwierigen und frustrierenden Studien der Planung für ganze Städte<br />
in aller Welt, von Algier bis Rio de Janeiro, von Stockholm bis Paris, zu<br />
konzentrieren.<br />
Eine zweite wichtige Einkommensquelle entsprang natürlich während<br />
der zwanziger Jahre aus der Veröffentlichung von nicht nur sechs<br />
bedeutenden Büchern, mehreren Ausgaben der Zeitchrift L ‚Architecture<br />
Vivante, dem ersten Band des Gesamtwerks, sondern auch von<br />
unzähligen Artikeln und Pamphleten. Selbst die Beteiligung am Magazin<br />
Esprit Nouveau, dessen Hauptaktionär er war, verschaffte ihm trotz<br />
dessen instabiler Finanzen ein gewisses Einkommen. Die Beziehung<br />
zwischen der Architektur von Privathäusern und Publikationen an<br />
sich ist aufschlußreich. Man kann die Bücher in solche aufteilen, die<br />
hauptsächlich theoretischer Natur sind (Kommende Baukunst, Städtebau,<br />
Précisions), und jene, deren Hauptanliegen es war, Le Corbusiers eigenes<br />
Werk bekannt zu machen und zu erklären (Une maison, un palais,<br />
15<br />
Zwei Wohnhäuser, die Nummern von L ‚Architecture Vivante und das<br />
Gesamtwerk). Bei letzteren zählte die Möglichkeit, das gebaute Werk<br />
ausgiebig mit Fotografi en und Zeichnungen zu veranschaulichen und<br />
so Architektenkreise zu beeindrucken. Die Architektur von Privathäusern<br />
spielte eine wesentlich Rolle zu einer Zeit, als es außerordentlich schwierig<br />
war, Aufträge für andere Arten von Bauten zu bekommen. Gropius‘ Buch<br />
Internationale Architektur von 1925 (das auf Fotografi en basiert, die für die<br />
Bauhaus-Ausstellung von 1923 gesammelt worden waren) ist in diesem<br />
Zusammenhang aufschlußreich: Das Atelier Ozenfant und das Haus<br />
Besnus in Vaucresson von Le Corbusier gehören zu den relativ wenigen<br />
modernen Bauten - im Gegensatz zu Bauplänen -, die darin abgebildet<br />
waren, und sie gewährten ihm einen Platz unter den Pionieren der<br />
internationalen Moderne. Die Häuser trugen auch dazu bei, Kontakte zu<br />
knüpfen und Leute zu beeinfl ussen, die Machtpositionen einnahmen.<br />
Die Entwürfe für Monsieur Mongermon, einen der Direktoren der Auto-<br />
und Flugzeugfabrik Voisin, sicherten Le Corbusier die fi nanzielle und<br />
moralische Unterstützung für den Pavillon Esprit Nouveau und den Plan<br />
Voisin de Paris im Jahre 1925. Drei Jahre später ebnete ihm der Entwurf<br />
eines Hauses für Madame Ocampo den Weg für seine Vortragsreise nach<br />
Argentinien im Jahr 1929.<br />
Die Symbiose der Standard-Wohnhaus-Prototypen (Dom-ino, Citrohan<br />
I und II, Immeuble-Villas, Pavillon Esprit Nouveau, Loucheur-Häuser) mit<br />
den private Einfamilienhäusern verhinderte außerdem die einfache<br />
Unterscheidung zwischen beiden Gruppen. Die meisten Häuser der<br />
zwanziger Jahre können, je nachdem, ob sie von einer oder der anderen<br />
diese «Standard-Zellen» abgeleitet sind, in Typen aufgeteilt werden, und<br />
das gilt ebenso für die Luxusprojekt Meyer, Stein-de Monzie und Savoye<br />
wie für die bescheideneren Häuser. Fast alle Charakteristika der privaten<br />
Häuser können auf Le Corbusiers allgemein Theorie der Stadtplanung<br />
zurückgeführt, mit dem Gebrauch neuer Materialien, dem Zeitgeist,<br />
der Standardisierung, der Ford-Revolution und so weiter verbunden<br />
werden. Wenn man zum Beispiel die Frage stellt, warum die Pilotis eine<br />
so wichtige Roll bei diesen Häusern spielen, so führt die Begründung der<br />
Funktionalität oder der Praktikabilität zu keiner Antwort. Die Idee der<br />
Pilotis entstammte einer allgemeinen Theorie, nach der die Bebauung<br />
der Städte über den Boden erhoben werden sollte, um den Fahrzeugen<br />
darunter ungehinderten Verkehr zu ermöglichen. wie im Entwurf für<br />
die Stadt mit drei Millionen Einwohnern (1922). Aber man kann auch auf<br />
Dogmen hinweisen, die den Gebrauch des «richtigen» Materials für das<br />
20. Jahrhundert -Stahlbeton- propagieren und dabei Argumente der<br />
rationellen Konstruktion benutzen, die auf Choisy oder Viollet-le-Duc<br />
zurückgehen. Ein hervorstechendes Beispiel für die Auswechselbarkeit<br />
der Wertvorstellungen von Massenwohnungsbau und privaten Häusern<br />
wurde in der Form der Ausstellungsgebäude gegeben. Der Pavillon Esprit<br />
Nouveau sollte eine Standardzelle in einem Appartementblock darstellen<br />
- die lmmeuble-Villa, die selber eine Standardeinheit ist, die man auf