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Le Corbusier - Elemente einer Synthese<br />
Stanislaus von Moos<br />
Die fünf Punkte einer neuen Architektur<br />
Um 1926 hat Le Corbusier seine architektonischen Postulate in fünf<br />
Punkten zusammengefaßt. Es überrascht nicht, daß all das, von dem<br />
bisher die Rede war (Kastenform, Symmetrie, Verselbständigung der<br />
Teile) hier nicht zur Sprache kommt, denn Le Corbusier hat dies alles in<br />
seinem Werk verwirklicht, ohne es explizit als Maxime des Handelns zu<br />
objektivieren. Architekturtheorie ist nicht der Boden, auf dem Architektur<br />
wächst, sie ist Kommentar, der - oft befruchtend, oft hemmend - auf das<br />
Geschehen einwirkt. Aber die Wurzeln liegen im Dunkel der Geschichte.<br />
Erst aus einiger Entfernung werden die wahren Faktoren sichtbar. Einige<br />
davon hat Le Corbusier in seinen fünf Punkten formuliert<br />
1. Die «pilotis»<br />
In der modernen Architektur hat der Beton- oder Stahlpfeiler die statische<br />
Funktion der Mauer übernommen. Dies wurde durch die Entwicklung<br />
der modernen Eisenbetonkonstruktionen in den Vereinigten Staaten<br />
und in Frankreich möglich. Entscheidend ist aber die Idee, Bauwerke auf<br />
Pfeiler zu stützen, um dadurch den Boden frei benützbar zu machen. Sie<br />
erscheint in Corbusiers städtebaulichen Spekulationen sehr früh. Bereits<br />
vor 1920 wollte er die Städte über einem Rost, der 4 bis 5 m über dem<br />
Boden liegt, aufbauen. Die «Befreiung des Bodens», die sich in seinen<br />
späteren städtebaulichen Entwürfen ankündigt, war die unmittelbare<br />
Folge. In dem Modell des «Maison Citrohan», das am «Salon d‘Automne»<br />
von 1922 ausgestellt war, heben die Pilotis den «Wohnkasten» in die Luft<br />
wie auf einen Tisch. Solche Architektur teilt mit den Konstruktionen der<br />
Ingenieure die Eigenschaft, an jeder Stelle der Erdoberfl äche installiert<br />
werden zu können. Ja die Pilotis ermöglichen sogar Pfahlbauten über<br />
dem Wasser, was Le Corbusier im Zusammenhang mit den «Lotissements<br />
de l‘Oued-Ouchaia» 1933 bis 1934 ins Auge gefaßt, und 1952/53 mit der<br />
«Unité d‘Habitation» in Nantes um 1950 tatsächlich realisiert hatte. Die<br />
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dunkeln und feuchten Kellerräume alter Bauten sind durch die Pilotis wie<br />
in den Wind geblasen.<br />
Im Zusammenhang mit der «Befreiung des Bodens» hat Corbusier später<br />
seinen Widerspruch zu Vignola und den Beaux-Arts-Palästen mit ihren<br />
«statisch unnötigen» Kolonnaden und ihren «Festungsgrundmauern»<br />
besonders scharf umrissen. Er sah schon um 1929 klar: Er wollte den Boden<br />
für das Bewegte - den Verkehr, aber auch für die Vegetation - freihalten;<br />
das Unbewegte aber - die Arbeit, das Wohnen - in die oberen Geschosse<br />
verweisen. Strahlend klar hat Corbusier diesen Gedanken in der Villa Savoye<br />
verwirklicht. In den buntbemalten, gekurvten Wandungen der Einfahrten<br />
und Durchgänge im Untergeschoß der «Cité du Refuge» erscheint das<br />
Prinzip zur phantastischen Architekturlandschaft gesteigert. Die Loge<br />
des Concierge erhielt hier die Gestalt einer geschweiften langgezogenen<br />
Kabine, die wie eine Zunge, rot gestrichen, die Einfahrt ins Untergeschoß<br />
begleitet.<br />
In der Tat eröffnen sich hier grundlegende architekturgeschichtliche<br />
Perspektiven. Es sind die neuen Möglichkeiten der Konstruktion, die<br />
das Haus auf Pilotis geschaffen haben; wie es auch die säkularen<br />
Gewohnheiten des Bauens waren, die den Palästen zu ihren massiven<br />
Fundamenten verhalfen. Jedoch sind - damals wie heute - äußere Faktoren<br />
entscheidend im Spiel. Es scheint, als verhalte sich der motorisierte<br />
Verkehr zum Haus auf Pilotis wie während Jahrhunderten der Krieg<br />
zum Haus auf Festungsgrundmauern. Weder Verkehr noch Krieg haben<br />
eine Architektursprache geschaffen. Aber sie haben beide geholfen, eine<br />
architektonische Formensprache zu größter Klarheit zu führen.<br />
2. Der Dachgarten<br />
Le Corbusier arbeitet mit praktischen Argumenten, um sein Publikum<br />
von der Notwendigkeit des Flachdachs zu überzeugen. Der Vorzug des<br />
Flachdachs liegt in erster Linie darin, in nördlichen oder gebirgigen<br />
Gegenden den Abfl uß des Schneewassers rasch und gefahrlos zu<br />
gewährleisten. Das Wasser fl ießt in der Mitte des Hauses ab; da das Haus<br />
normalerweise geheizt ist, besteht - im Gegensatz zum traditionellen<br />
Dach mit seinen Dachrinnen - keine Gefahr des Gefrierens.<br />
Jeanneret-Le Corbusier hatte diese Idee bereits 1916 in La Chaux-de-<br />
Fonds realisiert. Nun kam aber noch etwas dazu. Da sich der Eisenbeton<br />
stark dilatiert, schlug Le Corbusier vor, das Dach mit einer dünnen