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Le Corbusiers letzte Werke sind keineswegs gefällig, sondern von der<br />
gleichen produktiven Rastlosigkeit beseelt wie seine ersten. Sie stehen<br />
im Dialog mit Spiritualität wie das Dominikanerkloster La Tourette und<br />
die unvollendete Kirche in Firminy - oder erkunden neue technische und<br />
ästhetische Möglichkeiten - wie der Philips-Pavillon auf der Brüsseler<br />
Weltausstellung von 1958. Gleichzeitig aktualisierte Le Corbusier<br />
seine allerersten Werkthemen - zum Beispiel die „architektonische<br />
Promenade“ und den „freien Plan“ - oder entdeckte Orte wie Venedig - im<br />
Zusammenhang mit einem Krankenhausprojekt - wieder, die ihn schon<br />
früher in ihren Bann gezogen haben. Bis zu seinem Tod im Jahr 1965<br />
leben seine Bauten und Entwürfe von der Erinnerung des Architekten an<br />
Landschaften und Gebäude, einschließlich seiner eigenen.<br />
Zwiespältig und vielseitig<br />
Bis hierher wurde Le Corbusier aus der Sicht der Allgemeinheit vor<br />
allem als Architekt dargestellt, der mit einigen Kultbauten wie der Villa<br />
Savoye in Poissy, der Unité d‘habitation in Marseille oder der Kirche von<br />
Ronchamp identifi ziert wurde - aber auch als Autor beißend kritischer<br />
Schlagworte, mit denen er nie geizte und die im Laufe seines Lebens<br />
immer melancholischer klangen. Wenn man sich aber bemüht, seine<br />
Persönlichkeit zu erfassen, wie sie sich in den 1920er Jahren darstellt,<br />
erscheint Le Corbusier außerdem als Fabrikant, Maler (auch wenn er<br />
selbst meint, die professionellen Maler würden ihn ablehnen), Kritiker,<br />
Berichterstatter, Dekorateur... An der Persönlichkeit, die er in der<br />
Öffentlichkeit zeigte, wurde in Wirklichkeit ständig gearbeitet. In einem<br />
Brief von 1926 offenbarte er seinen inneren Zwiespalt: „Le Corbusier<br />
ist ein Pseudonym. Le Corbusier macht ausschließlich Architektur. Er<br />
verfolgt uneigennützige Interessen... Das ist eine von Gewicht, Fleisch<br />
und Blut losgelöste Einheit. Er darf niemals (aber wird ihm das gelingen?)<br />
absinken. Ch. Édouard Jeanneret ist der Mann aus Fleisch und Blut,<br />
der alle glückstrahlenden oder verzweifl ungsvollen Abenteuer eines<br />
ziemlich bewegten Lebens durchgemacht hat. Jeanneret Ch. E. malt,<br />
weil er - da er kein Maler ist - sich immer leidenschaftlich für die Malerei<br />
interessiert und schon immer gemalt hat.“ Dieser Zwiespalt in seiner<br />
Persönlichkeit macht seine radikalsten Bauten interessant und erweitert<br />
die Wahrnehmung seiner Malerei.<br />
Der Kreis von Menschen, in dem Le Corbusier sich entwickelte, umfasste<br />
mehrere Generationen, angefangen bei den Vaterfi guren L‘Eplattenier,<br />
Auguste Perret, der übrigens kaum zehn Jahre älter war als er, Peter<br />
Behrens (von dem Le Corbusier sich später abwandte) oder den Münchner<br />
Architekten Theodor Fischer, für den er Achtung und Zuneigung hegte.<br />
Seine Kontakte zu Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius waren<br />
im ersten Fall fl üchtig, im zweiten intensiver. Le Corbusier unterstützte<br />
die Arbeit des Bauhauses und engagierte sich mit Gropius für die CIAM,<br />
die internationalen Kongresse moderner Architektur, die von 1928 bis 1959<br />
stattfanden, um der Elite des Berufsstands die revolutionären Thesen der<br />
modernen Architektur zu vermitteln. Er war dem Züricher Kunsthistoriker<br />
und CIAM-Generalsekretär Sigfried Giedion freundschaftlich verbunden,<br />
während sein Verhältnis zu etlichen französischen CIAM-Mitgliedern wie<br />
André Lurçat eher schwierig war. Beziehungen mit Kollegen im Ausland<br />
wie Alexander Wesnin und den russischen Konstruktivisten, mit Lucio<br />
Costa und den jungen Architekten von Rio de Janeiro, Oscar Niemeyer<br />
und Affonso Eduardo Reidy, waren ihm wichtig. Zu Frank Ll0yd Wright,<br />
dessen Arbeit er schon früh kennen lernte, blieb er auf Distanz. Wright<br />
war offenbar eifersüchtig auf das Charisma des Parisers, und zwar so sehr,<br />
dass er dessen Unité d‘habitation von Marseille heftig kritisierte.<br />
Aus dem Kreis seiner engsten Freunde sind Pierre Jeanneret, Charlotte<br />
Perriand und Jean Prouvé hervorzuheben, die politisch eher links standen<br />
und sich zum größten Teil auch aus politischen Gründen Ende der 1930er<br />
Jahre von Le Corbusier distanzierten. Auch die ehemaligen Mitarbeiter<br />
des Büros in der rue de Sèvres bildeten einen Kreis von treuen Freunden<br />
unterschiedlichen Alters. Vor 1940 waren Pierre-André Emery, Alfred Roth,<br />
Josep Lluis Sert oder Junzo Sakakura die führenden Persönlichkeiten im<br />
Atelier Le Corbusier. Gérald Hanning, André Wogenscky, Georges Candilis<br />
und Roger Aujame sorgten nach 1945 für den Fortbestand des Büros.<br />
lannis Xenakis, Balkrishna Doshi und Jean-Louis Véret sowie nach ihnen<br />
José Oubrerie, Guillermo Jullian de la Fuente und viele andere trugen dazu<br />
bei, Le Corbusiers Werk in seinen letzten zehn Lebensjahren und darüber<br />
hinaus zu prägen.<br />
Vom Skandal zur Konsekration<br />
Mit dem Erscheinen von „L‘Esprit nouveau“ wurde Le Corbusier eine<br />
öffentliche Person oder eine Mehrzahl öffentlicher Personen. Seine<br />
bilderstürmerischen Artikel machten ihn zunächst zum Rebellen<br />
Nietzschescher Prägung, zum zerstörerischen Nihilisten, bevor<br />
seine ersten ausgeführten Bauten die russischen Machthaber dazu<br />
veranlassten, in ihm den „Inbegriff des neuen Menschen“ zu sehen. Von<br />
Salvador Dali höhnisch umgedeutet, wurde er für die Antikommunisten<br />
zum „trojanischen Pferd des Bolschewismus“. Aus Sicht der Kritiker der<br />
Unité d‘habitation in Marseille war er nach 1945 der „Verrückte“, ein<br />
Vertreter brutalen Betons. Der Kunsthistoriker Pierre Francastel warf ihm<br />
vor, er wolle die Bewohner mit geradezu totalitären Baumaßnahmen zu<br />
ihrem Glück zwingen.<br />
In den 1950er jahren genoss Le Corbusier unangefochtenen Ruhm, wurde<br />
jedoch von den französischen Baubehörden kaum beachtet, bis der<br />
damalige Kulturminister Andre Malraux ihn schließlich mit dem Bau des<br />
Museums beauftragte, das er schon seit 30 Jahren realisieren wollte. In<br />
dieser Lebensphase, in der seine architektonische Handschrift weltweit<br />
- mitunter in einem karikierenden Formalismus - Anwendung fand,