28 folgenden Seiten, einige Angaben dazu zusammenzustellen. Zunächst haben wir uns allerdings an das Naheliegende und Greifbare zu halten. Wir haben zu fragen, was Corbusiers Formensprache bedeutet: als künstlerisches Zeugnis einer geschichtlichen Situation, einer Persönlichkeit. Dieses Buch will den Versuch unternehmen, einige der Probleme, die das Werk Le Corbusiers stellt, begriffl ich zu fassen und dazu einige Fragen aufzuwerfen; einige Zusammenhänge, die bisher noch wenig beachtet wurden, zu beleuchten, und, bei dieser Gelegenheit, einige bisher noch unbekannte Fakten zu berichten. Zürich, im Oktober 1968 S. von Moos
Le Corbusier - Elemente einer Synthese Stanislaus von Moos Die fünf Punkte einer neuen Architektur Um 1926 hat Le Corbusier seine architektonischen Postulate in fünf Punkten zusammengefaßt. Es überrascht nicht, daß all das, von dem bisher die Rede war (Kastenform, Symmetrie, Verselbständigung der Teile) hier nicht zur Sprache kommt, denn Le Corbusier hat dies alles in seinem Werk verwirklicht, ohne es explizit als Maxime des Handelns zu objektivieren. Architekturtheorie ist nicht der Boden, auf dem Architektur wächst, sie ist Kommentar, der - oft befruchtend, oft hemmend - auf das Geschehen einwirkt. Aber die Wurzeln liegen im Dunkel der Geschichte. Erst aus einiger Entfernung werden die wahren Faktoren sichtbar. Einige davon hat Le Corbusier in seinen fünf Punkten formuliert 1. Die «pilotis» In der modernen Architektur hat der Beton- oder Stahlpfeiler die statische Funktion der Mauer übernommen. Dies wurde durch die Entwicklung der modernen Eisenbetonkonstruktionen in den Vereinigten Staaten und in Frankreich möglich. Entscheidend ist aber die Idee, Bauwerke auf Pfeiler zu stützen, um dadurch den Boden frei benützbar zu machen. Sie erscheint in Corbusiers städtebaulichen Spekulationen sehr früh. Bereits vor 1920 wollte er die Städte über einem Rost, der 4 bis 5 m über dem Boden liegt, aufbauen. Die «Befreiung des Bodens», die sich in seinen späteren städtebaulichen Entwürfen ankündigt, war die unmittelbare Folge. In dem Modell des «Maison Citrohan», das am «Salon d‘Automne» von 1922 ausgestellt war, heben die Pilotis den «Wohnkasten» in die Luft wie auf einen Tisch. Solche Architektur teilt mit den Konstruktionen der Ingenieure die Eigenschaft, an jeder Stelle der Erdoberfl äche installiert werden zu können. Ja die Pilotis ermöglichen sogar Pfahlbauten über dem Wasser, was Le Corbusier im Zusammenhang mit den «Lotissements de l‘Oued-Ouchaia» 1933 bis 1934 ins Auge gefaßt, und 1952/53 mit der «Unité d‘Habitation» in Nantes um 1950 tatsächlich realisiert hatte. Die 29 dunkeln und feuchten Kellerräume alter Bauten sind durch die Pilotis wie in den Wind geblasen. Im Zusammenhang mit der «Befreiung des Bodens» hat Corbusier später seinen Widerspruch zu Vignola und den Beaux-Arts-Palästen mit ihren «statisch unnötigen» Kolonnaden und ihren «Festungsgrundmauern» besonders scharf umrissen. Er sah schon um 1929 klar: Er wollte den Boden für das Bewegte - den Verkehr, aber auch für die Vegetation - freihalten; das Unbewegte aber - die Arbeit, das Wohnen - in die oberen Geschosse verweisen. Strahlend klar hat Corbusier diesen Gedanken in der Villa Savoye verwirklicht. In den buntbemalten, gekurvten Wandungen der Einfahrten und Durchgänge im Untergeschoß der «Cité du Refuge» erscheint das Prinzip zur phantastischen Architekturlandschaft gesteigert. Die Loge des Concierge erhielt hier die Gestalt einer geschweiften langgezogenen Kabine, die wie eine Zunge, rot gestrichen, die Einfahrt ins Untergeschoß begleitet. In der Tat eröffnen sich hier grundlegende architekturgeschichtliche Perspektiven. Es sind die neuen Möglichkeiten der Konstruktion, die das Haus auf Pilotis geschaffen haben; wie es auch die säkularen Gewohnheiten des Bauens waren, die den Palästen zu ihren massiven Fundamenten verhalfen. Jedoch sind - damals wie heute - äußere Faktoren entscheidend im Spiel. Es scheint, als verhalte sich der motorisierte Verkehr zum Haus auf Pilotis wie während Jahrhunderten der Krieg zum Haus auf Festungsgrundmauern. Weder Verkehr noch Krieg haben eine Architektursprache geschaffen. Aber sie haben beide geholfen, eine architektonische Formensprache zu größter Klarheit zu führen. 2. Der Dachgarten Le Corbusier arbeitet mit praktischen Argumenten, um sein Publikum von der Notwendigkeit des Flachdachs zu überzeugen. Der Vorzug des Flachdachs liegt in erster Linie darin, in nördlichen oder gebirgigen Gegenden den Abfl uß des Schneewassers rasch und gefahrlos zu gewährleisten. Das Wasser fl ießt in der Mitte des Hauses ab; da das Haus normalerweise geheizt ist, besteht - im Gegensatz zum traditionellen Dach mit seinen Dachrinnen - keine Gefahr des Gefrierens. Jeanneret-Le Corbusier hatte diese Idee bereits 1916 in La Chaux-de- Fonds realisiert. Nun kam aber noch etwas dazu. Da sich der Eisenbeton stark dilatiert, schlug Le Corbusier vor, das Dach mit einer dünnen