Layout LC.indd - Professur Schett
Layout LC.indd - Professur Schett
Layout LC.indd - Professur Schett
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
eliebige Art fester oder zu öffnender Verglasung konnte angewendet<br />
werden, ganz gleich, ob es sich um Dreh-, Schwing- oder Schiebefenster<br />
handelte. Man brauchte das Fenster nicht zu zerschneiden, wenn man<br />
es unterteile wollte. Es bot auch im Innenraum vielfältige Möglichkeiten,<br />
denn es endete immer in einem längslaufenden Sims, unter dem man<br />
Heizkörper oder Schränke (die wiederum mit seitlich eingehängten oder<br />
Schiebetüren ausgestattet waren) unterbringen konnte. Auch ließen sich<br />
aus dem Sims Tische machen, oder man konnte es verlängern und Kamine<br />
und andere Einrichtungen anbringen. Diese Erweiterungsmöglichkeit<br />
wuchs von einem Projekt zum anderen.<br />
Die Details verbesserten und vereinheitlichten sich zwar während der<br />
zwanziger Jahre, aber daran hatten sicherlich auch die Handwerker und<br />
Bauunternehmer, welche die Häuser ausführten, einen entscheidenden<br />
Anteil. Bisher ist nur wenig über die Mannschaft, die Le Corbusier<br />
beistand, gesagt worden. Wie eng die Zusammenarbeit zwischen<br />
Architekt und Bauunternehmern tatsächlich war, bedarf einiger<br />
Erklärung, denn jedes Projekt endete in Auseinandersetzungen und<br />
mehr oder weniger erbitterten Kämpfen, um den Bauherren überfällige<br />
Zahlungen abzuringen. Sie wehrten sich gegen Rechnungen für<br />
Arbeiten, die vom Architekten unzureichend spezifi ziert worden waren.<br />
Der Kern der Mannschaft bestand aus dem Maurer Summer, dem<br />
Tischler Louis, dem Anstreicher und Glaser Celio, dem Installateur und<br />
Heizungstechniker Pasquier und dem Elektriker Barth. Bei allen Bauten,<br />
von denen Unterlagen vorhanden sind, wurde erstaunlicherweise<br />
Crépin als Gärtner bestellt. Er erweckte bei fast allen Kunden feindselige<br />
Gefühle, weil er außerordentlich hohe Preise verlangte. Le Corbusier<br />
drängte ihn aber seinen Kunden immer wieder auf. Untersuchungen über<br />
die Gartengestaltung bei Le Corbusier und über seine Beziehungen zur<br />
Kunstgewerbepraxis im Paris der zwanziger Jahre sind längst überfällig.<br />
Crépins Arbeit für Le Corbusier, die reichlich dokumentiert ist, zeigt, wie<br />
abhängig der Architekt stets von seiner kunstgewerblichen Herkunft war<br />
und wie stark ihn seine Liebe zu den Blumen und Pfl anzen des Jura um La<br />
Chaux-de-Fonds beeinfl ußt hat.<br />
Im Laufe der Jahre kamen immer mehr junge Leute, besonders Ausländer,<br />
in das Atelier in der Rue de Sèvres, um dort zu arbeiten. Viele von ihnen<br />
erschienen, um an den großen Ausschreibungen wie dem Entwurf<br />
für den Völkerbundpalast zu arbeiten. Der Einfl uß von Männern wie<br />
José-Luis Sert, Kunio Maekawa, Albert Frey oder Alfred Roth ist noch<br />
nicht angemessen festgestellt worden. Sie trugen ihr Fachwissen zu<br />
einigen Entwürfen bei, besonders bei der Behandlung «schwieriger»<br />
Techniken wie der Axonometrik, der Pierre anscheinend etwas hilfl os<br />
gegenüberstand. Nur später, bei der Arbeit für das Haus Church, den<br />
letzten Zeichnungen und Details für die Villa Savoye und einem Teil der<br />
Arbeit für Beistegui kann man die Hand ganz bestimmter Mitarbeiter mit<br />
einiger Sicherheit identifi zieren.<br />
Dieses Buch ist das Ergebnis von mehr als zehnjähriger Arbeit in den<br />
aus: Le Corbusiers Pariser Villen 1920-1930, Timothy J. Benton<br />
19<br />
Archiven der Fondation Le Corbusier. Die Zeichnungen befanden sich<br />
noch in Rollen im ehemaligen Appartement von Le Corbusier in der Rue<br />
Nungesser-et-Coli und waren nicht numeriert, als ich sie zum erstenmal<br />
sichtete. Die ersten Archivdokumente, die ich sah, waren genauso<br />
ungeordnet und so belassen, wie sie vom Atelier abgeholt worden<br />
waren. Die Zeichnungen bedeuten im Jahre 1972 eine Entdeckung, da sie<br />
praktisch unbekannt waren. Seitdem hat es zahlreiche Ausstellungen,<br />
Artikel und Bucher darüber gegeben.<br />
Die Fondation Le Corbusier sollte nach seinem eigenen Vermächtnis<br />
das verborgene Werk des Meisterarchitekten aufbewahren. Er selbst<br />
war davon überzeugt, daß ein Historiker die Spuren wie ein Archäologe<br />
verfolgen müßte, um die volle Bedeutung seines Werkes aufdecken zu<br />
können. Nicht nur über 32’000 Zeichnungen waren erhalten, sondern<br />
auch eine ungeheure Menge an Dokumentationsmaterial, das in einigen<br />
Fällen jede Einzelheit des Auftrags, der Planung und der Ausführung eines<br />
Gebäudes enthielt. Diese Sammlung ist einmalig und interessant, aber<br />
man kommt schwer mit ihr zu Rande. Wie oft haben Historiker davon<br />
geträumt, hinter die Kulissen blicken zu können, zu sehen, was seinerzeit<br />
wirklich passiert ist.<br />
Wenn ich in der Fondation Le Corbusier arbeitete, im Zimmer von Albert<br />
Jeanneret und Lotti Raaf saß und die Blätter umdrehte, die oft wie während<br />
eines Telefongesprächs hingekritzelte Notizen wirkten, wurde die Illusion<br />
von Aktualität und unmittelbarer Präsenz manchmal fast unerträglich.<br />
Und doch sind natürlich die wichtigsten Fragen noch unbeantwortet.<br />
Warum ist diese Form so, wie sie ist? Wer hat das entschieden? Was wurde<br />
über dem Zeichenbrett, im Café oder auf der Baustelle gesagt? Und am<br />
Ende bleiben uns nur die Zeichnungen.<br />
Unser Verständnis und unsere Auffassung von Le Corbusiers und Pierre<br />
Jeannerets Architektur werden jedoch in mancher Hinsicht unwiderrufl ich<br />
verändert. Die Arbeitsbedingungen, der Druck, die Spannungen, der Lärm<br />
der täglichen kritischen Auseinandersetzungen und die tatsächliche<br />
Lösung von Problemen werden uns oft klar. Einerseits ist es wichtig, diese<br />
Stufen des Arbeitsablaufs nicht mit dem eigentlichen Schaffensprozeß zu<br />
verwechseln, andererseits aber notwendig, die beiden nicht zu trennen.<br />
Einige Entwürfe erscheinen zu unserem Erstaunen im wesentlichen so<br />
auf dem Papier, wie sie gebaut worden sind. Wir müssen nicht unbedingt<br />
davon ausgehen, daß in der erhaltenen Sammlung von Zeichnungen<br />
Verluste entstanden sind. Die Villa Cook und in gewissem Sinne die Villa<br />
Savoye sind Beispiele für «unbefl eckte Empfängnis». Le Corbusier selbst<br />
hat dies ausgedrückt, indem er von seiner «Abneigung zu zeichnen» oder<br />
seiner Überzeugung sprach, daß «Architektur im Kopf geschaffen» werde.<br />
Die überwiegende Mehrzahl der Zeichnungen, die von der Fondation<br />
Le Corbusier aufbewahrt werden, sind nicht «Werkzeichnungen» in<br />
dem Sinne, daß man aus der Verwirrung sich entwickelnde Formen<br />
unterscheiden kann oder daß bewiesen werden könnte, wie eine Reihe<br />
von Berechnungen ein Resultat hervorgebracht haben. Meist besteht