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Le Corbusier<br />

Jean-Louis Cohen<br />

Die Lyrik der Architektur im<br />

Maschinenzeitalter - Einleitung<br />

Wenige Architekten haben die Hoffnungen und Enttäuschungen des<br />

Industriezeitalters so prägnant zum Ausdruck gebracht wie Le Corbusier<br />

- und nur wenige haben ihre Zeitgenossen so schockiert, mit Ausnahme<br />

von Adolf Loos und Frank Ll0yd Wright. Sarkasmen und Verleumdungen<br />

haben lange das Leben eines der wenigen Architekten begleitet, dessen<br />

Name der breiten Öffentlichkeit bekannt ist. Wenn man sich sein<br />

Lebenswerk aus sechs Jahrzehnten anschaut - angefangen bei der Villa<br />

Fallet von 1907 bis hin zu den posthum fertig gestellten Projekten - kann<br />

man über die Fülle nur staunen. Le Corbusier hat 75 Einzelbauten in zwölf<br />

Ländern gebaut und 42 bedeutende städtebauliche Pläne ausgearbeitet.<br />

Er hat 8000 Handzeichnungen, über 400 Gemälde, 44 Skulpturen und<br />

27 Entwürfe für Gobelins hinterlassen. Daneben hat er 34 Bücher mit<br />

insgesamt 7000 Seiten, Hunderte von Artikeln und Vorträgen und über<br />

den Büroschriftverkehr hinaus etwa 6500 persönliche Briefe geschrieben.<br />

Le Corbusier erlebte die Verbreitung des Auto- und Flugverkehrs und war<br />

einer der ersten Architekten, der gleichzeitig auf mehreren Kontinenten<br />

baute. Dank Fotografi e und Presse war er eine prominente Person, dessen<br />

Erklärungen öffentliches Ärgernis erregten. Er gestaltete selbst eifrig<br />

sein öffentliches Image mit, hat allen Spannungen des 20. Jahrhunderts<br />

Ausdruck verliehen und uns ein in seiner Vielfalt einzigartiges Werk<br />

vermacht. Le Corbusier zeichnete sich außerdem durch Treue aus. Die<br />

in seiner Heimatstadt erlebten Bindungen begleiteten ihn sein ganzes<br />

Leben. Seine Mutter, Marie-Amelie Jeanneret-Perret, und sein Bruder<br />

Albert blieben seine engsten Vertrauten und Ansprechpartner wie auch<br />

der Schriftsteller William Ritter. Er pfl egte die Freundschaften der ersten<br />

Stunde - mit Léon Perrin und Auguste Klipstein ebenso wie die späteren<br />

mit Künstlern wie Fernand Léger oder Louis Soutter.<br />

Ganz Europa als Lehrstätte<br />

Charles-Edouard Jeanneret, der den Künstlernamen Le Corbusier erst<br />

1920 annahm, wurde 1887 in La Chaux-de-Fonds geboren, einer Stadt<br />

im Schweizer Jura, die Karl Marx als „eine einzige Uhrenmanufaktur“<br />

bezeichnete. Die hier erlebte Wechselwirkung zwischen Fabrikation und<br />

Kunst blieb auch in Jeannerets Berufstätigkeit eine Konstante. In diesem<br />

Milieu glaubte man an die pädagogischen Tugenden der geometrischen<br />

Form, ein wesentliches Element der Fröbelschen Lehrmethode, die<br />

21<br />

Jeanneret seit seiner Kindheit kannte. In der vom Kunstmaler CharIes<br />

L‘Eplattenier geleiteten und vom Gedankengut Ruskins sowie der Artsund-Crafts-Bewegung<br />

geprägten Kunstgewerbeschule entfernte sich<br />

der junge Le Corbusier allmählich vom Berufsziel eines Ziselierers und<br />

Gravierers von Uhren und entdeckte die Architektur.<br />

Seine eigentliche Ausbildung zum Architekten erhielt er zeitlebens<br />

auf seinen unzähligen Reisen. Seine selbst gezeichnete Europakarte<br />

markierte drei Arten von Orten, die er von 1907 bis 1912 besuchte, und zwar<br />

die Zentren von Kultur, Industrie und Folklore. Seine erste Reise führte<br />

ihn in die Toskana, wo er zarte Aquarelle der Bauten von Pisa, Siena und<br />

Florenz malte. Er nahm sich vor, die „Sprache der Steine“ zu entschlüsseln<br />

und interessierte sich für Ornamentik, aber auch für Bauten wie das<br />

Kartäuserkloster Galluzzo im Val d‘Ema. Anschließend fuhr er nach Wien<br />

und Paris, wo ihm der Plakatmaler Eugène Grasset von den Gebrüdern<br />

Perret erzählte, die „Beton zusammen mit Eisen in Holzkästen packen“.<br />

Auguste Perret stellte ihn ein, nachdem er seine Skizzen gesehen hatte,<br />

und Le Corbusier arbeitete 15 Monate lang im Büro Perret im Erdgeschoss<br />

des neuartigen Wohn- und Geschäftshauses Nr. 25a, rue Franklin. Er<br />

arbeitete am Entwurf der Kathedrale von Oran mit und entwarf 1908 die<br />

Jagdhütte La Saulot in der Sologne. Perret bildete seinen Geschmack und<br />

ließ ihn Gustave Eiffels Viadukt bei Garabit, die Pariser Bauten von Anatole<br />

de Baudot und Henri Sauvage sowie schließlich Tony Garniers Wirken in<br />

Lyon entdecken.<br />

In Paris, wo er eine Mansarde am Quai Saint-Michel bewohnte, las<br />

Jeanneret 1908 „Also sprach Zarathustra“ von Friedrich Nietzsche, aber<br />

auch „La Vie de Jésus“ von Ernest Renan und „Les Grands Initiés“ von<br />

Edouard Schure. Nietzsches Imperativ „Werde, der du bist!“ wurde zu<br />

seinem Wahlspruch. L‘Eplattenier schickte ihn nach Deutschland, um dort<br />

neue Entwicklungen in der angewandten Kunst und der industriellen<br />

Fertigung zu studieren, und empfahl ihm, ein Buch über Städtebau zu<br />

schreiben. Wie Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe arbeitete er<br />

einige Zeit bei dem Berliner Architekten Peter Behrens. Er besuchte seinen<br />

Bruder Albert im Institut von Jacques Dalcroze in der Gartenstadt Hellerau<br />

bei Dresden und entdeckte die sachliche Klassizistik Heinrich Tessenows,<br />

der dort zahlreiche Wohnhäuser und das Festspielhaus gebaut hatte. In<br />

München lernte Jeanneret den Schriftsteller William Ritter kennen, der<br />

ihm half, die Gegensätze zwischen deutscher und romanischer Kultur zu<br />

verstehen.<br />

Ritter kannte die slawischen Länder und riet ihm, sie zu besuchen.<br />

Jeanneret reiste nach Prag, Serbien und Bulgarien, wo er dörfl iche<br />

Architektur in Zeichnungen festhielt. Die Höhepunkte seiner Balkanreise<br />

waren Konstantinopel und Athen. Unermüdlich zeichnete er die Silhouette<br />

der osmanischen Hauptstadt und vergrößerte seine Skizzensammlung<br />

von Häusern am Berg. Die architektonische Komposition der Akropolis<br />

sollte ihn nicht wieder loslassen. Nach Griechenland besuchte er Pompeji,<br />

Rom und die poetische Landschaft um die Hadrian-Villa bei Tivoli. Nach

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