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Le Corbusier - Elemente einer Synthese<br />
Stanislaus von Moos<br />
Vorwort<br />
Auf den ersten Blick scheint es nicht schwer, ein paar Angaben zu Le<br />
Corbusier zusammenzustellen. Fast alle seine Bauten und Projekte sind<br />
in den sieben Bänden des «Oeuvre Complète» dokumentiert. Auch seine<br />
theoretischen Überlegungen sind ohne weiteres zugänglich - denn Le<br />
Corbusier wußte jederzeit, was er tat, und hat darüber in etwa vierzig<br />
Büchern und Schriften Rechenschaft abgelegt. Niemand hat Le Corbusiers<br />
Denken und Schaffen so aufmerksam kritisch verfolgt und so ausführlich<br />
kommentiert wie er selbst - und darin liegt vielleicht auch der Grund,<br />
warum es heute, trotz der unabsehbaren Reihe von Zeitungsartikeln<br />
und Detailstudien, trotz der ausführlichen Würdigungen in den großen<br />
Geschichtsbüchern der neueren Architektur, nur ganz wenige Bücher<br />
über Le Corbusier gibt. Es schien lange Zeit beinah unmöglich, Le<br />
Corbusier besser und richtiger zu interpretieren als er es selbst getan.<br />
Heute, zum Zeitpunkt, wo diese Zeilen geschrieben werden - etwas mehr<br />
als drei Jahre nach seinem Tod liegt noch keine zusammenfassende<br />
Darstellung von Corbusiers nunmehr abgeschlossenem Lebenswerk vor.<br />
Hier wird ein erster Versuch unternommen, dies nachzuholen.<br />
Es kann aber nicht darum gehen, Le Corbusiers Architektur in ein<br />
paar Bildern zu vergegenwärtigen und seine eigenen Thesen dazu<br />
wiederzugeben. Dafür sind die Grenzen, die uns hier gesetzt sind,<br />
ohnehin zu eng. Andererseits ist es noch zu früh, ihn durch die Brille<br />
der Kunstgeschichte als Erscheinung der Vergangenheit zu würdigen.<br />
Le Corbusier meinte einmal: man tritt nicht mit Lackschuhen und<br />
Glacéhandschuhen auf ein Schlachtfeld. In der Tat ist Corbusiers Botschaft<br />
noch zu frisch für die rein historiographische Bestandesaufnahme. Die<br />
grundsätzlichen sozialen, technischen und künstlerischen Probleme, die<br />
sie aufwirft, sind auch unsere Probleme.<br />
Heute steht das Werk Corbusiers da, bruchstückhaft vielleicht, und nicht<br />
ohne jene scheinbaren und tatsächlichen Widersprüchlichkeiten, die zu<br />
jeder Äußerung des Lebens gehören - aber doch überschaubar und als<br />
Einheit faßbar. Tag für Tag wird deutlich, wie viel Zukünftiges in diesem<br />
Werk vorweggenommen wurde, und es wird auch deutlich, wie viel<br />
Vergangenes in ihm nachklingt.<br />
Corbusier ist kein Randphänomen. Er griff in die Grundsubstanz seiner<br />
Epoche. Die Welt an der Schwelle der «époque machiniste» mit ihren<br />
gewaltigen Verwirrungen und ihren ebenso gewaltigen Möglichkeiten<br />
wird in der Vision Le Corbusiers zum Ausgangspunkt einer Neuordnung<br />
27<br />
der menschlichen Siedlungsform, ja der menschlichen Lebensform<br />
schlechthin. Alles wird neu gesehen und in den Griff genommen: Die<br />
neuen Materialien und Konstruktionen, die die Technik bereitstellte,<br />
werden in ein architektonisches, räumliches und plastisches Medium<br />
verwandelt; die Bevölkerungsexplosion und die Ansammlung der<br />
Massen in den Großstädten führen dazu, daß ein Problem, das während<br />
einiger Jahrhunderte außerhalb der direkten Kompetenz des Architekten<br />
lag, wieder in den Mittelpunkt der architektonischen und geistigen<br />
Bemühung tritt: das Problem der Stadt.<br />
Und da Corbusier im Grunde ein Künstler und Dichter war, ist sein Denken<br />
und sein Tun immer bezogen auf die neue Erfahrung der Natur und der<br />
Welt, die die moderne Kunst herbeiführte.<br />
Aber vielleicht besaß Corbusier nur deshalb die Kraft, so viel aktuelle<br />
Realität im eigenen Kopf und mit den eigenen Händen zu verarbeiten,<br />
weil er im Grunde ein Mensch des 18. Jahrhunderts war; ein Aufklärer,<br />
der an den Segen der heraufkommenden «époque machiniste» glaubte<br />
und daran, daß sie imstande sein würde, eine weltweite «liberté, égalité,<br />
fraternité» herbeizuführen.<br />
«Père Corbu» - er liebte es, von sich selbst in der dritten Person zu sprechen<br />
- ist nicht der alleinige Vater der modernen Architektur und des heutigen<br />
Städtebaus. Aber er war unter seinen Weggenossen derjenige, der es am<br />
besten verstand, die Ziele des «neuen Bauens» anschaulich zu machen<br />
und wirkungsvoll die Trommel dafür zu rühren. Die Saat seines Wirkens<br />
ist noch zu seinen Lebzeiten aufgegangen. Zu Ende seines Lebens konnte<br />
er die Waffen strecken und feststellen: «la bataille est vaincue» - die<br />
moderne Architektur hat den Sieg erfochten. Für ihn war das der Beweis<br />
der Richtigkeit seiner Thesen.<br />
Jedoch, machen wir uns keine Illusionen. Die Ziele und Argumente, mit<br />
denen Corbusier Geschichte machte, sind nicht mehr ohne weiteres<br />
unsere Ziele und unsere Argumente. Sie sind selber Geschichte geworden.<br />
Freilich: eine große Zahl von Corbusiers Thesen sind noch heute die<br />
selbstverständliche Plattform des architektonischen und städtebaulichen<br />
Gesprächs. Viele Formen, die er prägte, sind längst zum Allgemeinbesitz<br />
der heutigen Architektur aller Kontinente geworden. Es wäre jedoch allzu<br />
einfach, Le Corbusiers Werk, das einer bestimmten historischen Situation<br />
entsprang, unbesehen als Musterbuch in unsere Zeit herüberzuretten.<br />
Wir müssen versuchen, die Ebene der Stellungnahme «pro und kontra» zu<br />
verlassen, um etwas Distanz und Übersicht zu gewinnen. Der Pulverdampf<br />
der Schlachten um die moderne Architektur, und die Defi nition der Stadt,<br />
ja um das weltumspannende Programm einer neuen Lebensform liegt<br />
noch immer in der Luft - das macht unsere Aufgabe nicht einfacher.<br />
Spätere Zeiten werden klarer sehen.<br />
Le Corbusiers Vermächtnis liegt in der Idee, daß das Planen und Bauen<br />
in unserer Zeit von Grund auf bis in die äußersten Verästelungen einem<br />
poetischen Weltentwurf, ja einer poetischen Kosmologie und einer<br />
Skala menschlicher Werte unterworfen werden sollte. Es ist der Sinn der