Plenarprotokoll
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Abgeordnetenhaus von Berlin<br />
17. Wahlperiode<br />
Seite 7742 <strong>Plenarprotokoll</strong> 17/75<br />
28. Januar 2016<br />
(Antje Kapek)<br />
Menschen dort, von Unregistrierten bis zu denen, die<br />
schon längst beim Jobcenter gemeldet sind, heute die<br />
Nachricht bekommen, dass sie mindestens bis Mai, aber<br />
vielleicht sogar länger in Tempelhof bleiben müssen,<br />
straft diesen Begriff „Notunterkunft“ Lügen.<br />
Wir brauchen deshalb keine Ausweitung der Massenunterkunft,<br />
sondern wir brauchen endlich ein Umsteuern in<br />
der Berliner Flüchtlings- und Integrationspolitik. Schaffen<br />
Sie also die rechtlichen Grundlagen für die Beschlagnahmung<br />
leerstehender Immobilien! Einen entsprechenden<br />
Gesetzesentwurf haben wir bereits im November<br />
vorgelegt. Die Grundstücke der BImA, zahlreiche Angebote<br />
für Privatunterkünfte, die Angebote der Bezirke,<br />
konkrete Projekte wie das Haus der Statistik, und selbst<br />
viele privat Engagierte: All diese Vorschläge liegen seit<br />
Monaten auf dem Tisch. Umgesetzt haben Sie davon bis<br />
heute keinen!<br />
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]<br />
Also hören Sie endlich auf, uns vorzuwerfen, unsere<br />
Vorschläge würden die Flüchtlinge direkt in die Obdachlosigkeit<br />
treiben! Machen Sie das nicht, denn Sie wissen<br />
ganz genau, kein einziger Mensch in diesem Saal will<br />
das!<br />
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN –<br />
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]<br />
Stattdessen: Machen Sie doch Ihre Liste selbst mal transparent!<br />
Dann können wir nämlich gemeinsam darüber<br />
beraten, wie Ihre und unsere Vorschläge zusammen zu<br />
mehr Unterbringungsmöglichkeiten in Berlin führen<br />
können.<br />
Aber zurück zu Tempelhof: 7 000 Menschen auf knappem<br />
Raum, ohne Beschäftigung, ohne Privatsphäre – da<br />
sind leider soziale Probleme vorprogrammiert. Unter<br />
diesen Bedingungen in Berlin nicht nur anzukommen,<br />
sondern auch dauerhaft für viele Monate zu leben, ist<br />
meiner Meinung nach tatsächlich die größte Integrationsblockade,<br />
die man sich vorstellen kann. Eine Unterkunft<br />
dieser Dimension ist nicht nur die größte Massenunterkunft<br />
Deutschlands – es ist für jeden Einzelnen dort eine<br />
menschunwürdige Zumutung!<br />
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN –<br />
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]<br />
Außerdem ist Tempelhof tatsächlich eine reine Verzweiflungsstrategie,<br />
weil der tatenlose Sozialsenator seinen<br />
Aufgaben nicht nachkommt. Zu reiner Verzweiflung<br />
führt das aber bei den Flüchtlingen vor Ort, wenn Ihnen<br />
mitgeteilt wird, dass sie noch monatelang dort leben<br />
müssen. Das Hauptproblem an den Tempelhofplänen ist<br />
daher, dass Sie hier keine Notunterkunft betreiben, sondern<br />
mitten in Berlin ein Flüchtlingsdorf erschaffen, das<br />
in seinen Ausmaßen seinesgleichen sucht. Damit lösen<br />
Sie keine Probleme – damit schaffen Sie vor allem jede<br />
Menge neuer Probleme! Und genau aus diesem Grund<br />
wird meine Fraktion dem Tempelhof-Gesetz nicht zustimmen.<br />
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]<br />
Der Ausnahmezustand, der gerade herrscht, darf in Berlin<br />
nicht zum Normalzustand werden. Deshalb haben wir als<br />
Grüne unserer Verantwortung entsprechend am letzten<br />
Freitag ein eigenes Integrationskonzept vorgelegt. Von<br />
der SPD und der CDU kenne ich ein solches Papier nicht.<br />
[Daniel Buchholz (SPD): Papier reicht aber nicht!]<br />
Aber immerhin soll es jetzt ein Landesamt für Flüchtlinge<br />
geben. Leider konnte uns keiner erklären, welche Vorteile<br />
es für Geflüchtete haben soll, wenn man das LAGeSo<br />
einfach nur aufsplittet, ganz zu schweigen von der Frage,<br />
wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eigentlich in<br />
einem solchen neuen Landesamt arbeiten sollen. – Herr<br />
Czaja! Sie glauben, dass Sie durch einen solchen Schnellschuss<br />
eventuell zu einem Befreiungsschlag kommen. Ich<br />
kann Ihnen aber sagen, es wird genau das Gegenteil passieren:<br />
Sie werden daran am Ende des Tages gemessen<br />
werden.<br />
Während das Landesamt nach dem Gesetz, das Sie heute<br />
einbringen wollen, bereits am 1. Januar 2016 errichtet<br />
werden soll – offenbar hat der Senat auch eine Zeitmaschine<br />
–, wollen wir als Grüne der Verwaltung bis zum<br />
1. Januar 2017 Zeit für eine vernünftige Planung geben.<br />
Wir glauben, dass man nämlich so viel Zeit braucht, um<br />
ein Landesamt für Migration und Flucht als echte Willkommensbehörde<br />
zu errichten, die dann aber auch umfassend<br />
die Zuständigkeiten von Flucht, Migration und Integration<br />
bündelt und außerdem Teilaufgaben der Ausländerbehörde<br />
und des Integrationsbeauftragten zusammenführt.<br />
[Beifall bei den GRÜNEN –<br />
Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]<br />
Schnelles Handeln vor allem in und um das LAGeSo ist<br />
dringend geboten. Dass dort immer noch Flüchtlinge in<br />
der Kälte ausharren müssen oder gar Hunger leiden, das<br />
sind völlig inakzeptable Zustände, die sofortiger Maßnahmen<br />
bedürfen.<br />
[Beifall bei den GRÜNEN –<br />
Vereinzelter Beifall bei<br />
der LINKEN und den PIRATEN]<br />
Aber Herr Czaja, schnelles Handeln sollte eben nicht zu<br />
Schnellschüssen führen, und deshalb wird meine Fraktion<br />
Ihrem Schnellschussvorschlag eines Landesamtes auch<br />
nicht zustimmen. – Herzlichen Dank!<br />
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN<br />
und den PIRATEN]<br />
Präsident Ralf Wieland:<br />
Danke schön, Frau Kollegin! – Für die SPD-Fraktion hat<br />
der Kollege Buchholz das Wort. – Bitte schön!