Plenarprotokoll
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Abgeordnetenhaus von Berlin<br />
17. Wahlperiode<br />
Seite 7741 <strong>Plenarprotokoll</strong> 17/75<br />
28. Januar 2016<br />
(Präsident Ralf Wieland)<br />
Redebeiträge aufgeteilt werden kann. – Es beginnt die<br />
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Frau Kapek. – Bitte<br />
schön, Sie haben das Wort, Frau Kollegin!<br />
Antje Kapek (GRÜNE):<br />
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und<br />
Herren! Ja, man kann sogenannte Volksgesetze ändern.<br />
Rechtlich ist dies vollkommen unbedenklich.<br />
[Lars Oberg (SPD): Ja, genau! –<br />
Vereinzelter Beifall bei der SPD]<br />
Aber wenn man dieses tut, dann sollte man es zumindest<br />
auf eine politisch verantwortliche Weise tun.<br />
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]<br />
Sprich, mit einer nachvollziehbaren Begründung, mit<br />
einer transparenten und auch ehrlichen Kommunikation<br />
und mit einem überzeugenden Konzept dafür, was sich<br />
durch diese Änderung verbessern soll. Angesichts der<br />
Vorgeschichte des Volksentscheids Tempelhof und vor<br />
dem Hintergrund des außergewöhnlich klaren Votums für<br />
dieses Volksgesetz wäre dieses einmal mehr geboten.<br />
[Beifall bei den GRÜNEN –<br />
Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und<br />
den PIRATEN]<br />
Was Sie aber in den letzten Wochen betrieben haben, war<br />
das genaue Gegenteil davon. Im Schweinsgalopp soll<br />
eine Änderung des Tempelhof-Gesetzes durch das Parlament<br />
gepeitscht werden.<br />
[Michael Dietmann (CDU): Gepeitscht?]<br />
Die Kommunikation lief mit täglich neuen Wasserstandsmeldungen<br />
zu angeblichen Plänen geradezu unterirdisch.<br />
Eine Bürgerversammlung vor einer Woche musste<br />
als reine Schaufensterveranstaltung herhalten, und das,<br />
obwohl die Koalitionsfraktionen bereits Tage zuvor ihre<br />
Zustimmung zu dem Gesetz ausgedealt hatten. Eine<br />
Machbarkeitsstudie für die Unterbringung von 7 000<br />
Menschen, ganz zu schweigen von einem ressortübergreifenden<br />
Konzept des Berliner Senats, gibt es bis heute<br />
nicht.<br />
Diese Art von Umgang mit direkter Demokratie ist das<br />
genaue Gegenteil von verantwortungsvoll.<br />
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN<br />
und den PIRATEN]<br />
Nein, diese Art von Umgang ist politischer Irrsinn und<br />
ein gefährlicher noch dazu. Ihr Verhalten führt zu Politikverdrossenheit,<br />
demotiviert all diejenigen, die sich<br />
ehrenamtlich vor Ort, aber auch an anderen Stellen engagieren,<br />
und spielt leider vor allem denen – das hat man<br />
auch auf der Bürgerversammlung letzte Woche gesehen –<br />
in die Hände, die auf „die da oben“ schimpfen, die „sowieso<br />
machen, was sie wollen“, und das alles auf dem<br />
Rücken der Flüchtlinge.<br />
[Lars Oberg (SPD): Machen Sie doch!]<br />
– Lieber Herr Oberg! Auch Sie sollten endlich einsehen,<br />
die Berliner wollen nicht mehr von oben regiert werden.<br />
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN<br />
und den PIRATEN –<br />
Zurufe von der SPD]<br />
Und das alles, obwohl gar keine – –<br />
[Unruhe]<br />
Präsident Ralf Wieland:<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wäre jetzt schön,<br />
wenn wieder Ruhe einkehren könnte. – Danke!<br />
Antje Kapek (GRÜNE):<br />
Und das alles, obwohl gar keine Gesetzesänderung nötig<br />
wäre! Denn es wäre auch heute schon möglich, sowohl<br />
die Unterbringung als auch Versorgungs- und Integrationsbauten<br />
ohne Not vor Ort unterzubringen. Temporäre<br />
Bauten am Tempelhofer Damm, am Columbiadamm, in<br />
den Innenhöfen oder auf dem Vorfeld könnten Sie ohne<br />
eine Gesetzesänderung jederzeit aufstellen.<br />
Dass Sie dieses nicht getan haben, weckt einmal mehr<br />
Zweifel an Ihren Motiven. Geht es am Ende vielleicht<br />
doch nur um eine Ankündigungspolitik – Stichwort<br />
9-Punkte-Plan – oder geht es hier um Machtgesten? Oder<br />
bestätigt das vielleicht die Befürchtung all derjenigen, die<br />
vermuten, Sie würden hier doch die dauerhafte Bebauung<br />
durch die Hintertür ermöglichen? Tut mir leid, aber Vertrauen<br />
und Akzeptanz schaffen geht anders!<br />
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN<br />
und den PIRATEN]<br />
Doch nicht nur das Volksgesetz wird durch Ihre Pläne<br />
ausgehebelt, auch die Qualitäts- und Mindeststandards<br />
des LAGeSo gelten für die vielen Tausend Menschen vor<br />
Ort nicht. Es wäre doch das Mindeste, diese wenigstens<br />
auch in Tempelhof einzuführen. Dann könnten Sie aber<br />
im Umkehrschluss dort auch keine 7 000 Menschen mehr<br />
unterbringen.<br />
Wir erleben gerade eine Ausnahme- und Extremsituation,<br />
und das erfordert manchmal auch schnelles Handeln.<br />
Aber schnelles Handeln, das muss uns allen klar sein,<br />
darf nicht zu schlechtem Handeln führen, Herr Czaja!<br />
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN<br />
und den PIRATEN]<br />
Auch Notunterkünfte und Notmaßnahmen erfordern ein<br />
Konzept. Und vor allem sind Notunterkünfte, wie es in<br />
Tempelhof eigentlich angedacht ist, Orte, an denen Geflüchtete<br />
nur wenige Wochen untergebracht werden sollten.<br />
Sie haben aber selber auf der Bürgerversammlung<br />
vor einer Woche zugeben müssen, dass fast alle Flüchtlinge,<br />
die im Oktober in Tempelhof gelandet sind, diesen<br />
Ort nicht mehr verlassen haben. Die Tatsache, dass viele